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Köpfen oder klopfen?

Hannelore Peine @Peine01 aus Berlin fragt:
Was ist besser beim Frühstücksei: es brutal zu köpfen oder weich zu klopfen bis die Schalen den Teller bedecken?
WikipeteR antwortet: So banal diese Frage auch klingt, führt sie uns doch in gewaltige Tiefen. Religion, Philosophie und Politik werden von ihr berührt, Ehekrach, Scheidung, Mord und Totschlag hatte und hat bis heute der Streit um die richtige Antwort zur Folge. Der englische Wundarzt und Kapitan Lemuel Gulliver berichtete der Weltöffentlichkeit im April 1727 sogar von einem lang andauernden Krieg zwischen den Reichen Liliput und Blefuscu um das allein seligmachende Ende, von dem die Frühstückseier aufzuschlagen seien, vom stumpfen oder vom spitzen her. Reldresal, Erster Minister für Privatangelegenheiten Liliputs, über die religiöse Dimension dieses Konflikts:
"Während dieser Unruhen machten uns die Kaiser von Blefuscu durch ihre Gesandten häufig Vorhaltlungen, indem sie uns beschuldigten, eine Spaltung in der Religion zu bewirken, da wir gegen eine Grundlehre unseres größten Propheten Lustrogg im fünfundvierzigsten Kapitel des Blundecral (das ist ihr Koran) verstießen. Man meint jedoch, daß diese Auslegung dem Text nur Zwang antut, denn die Worte lauten so: 'Alle wahren Gläubigen schlagen die Eier am passenden Ende auf.' Welches nun das passende Ende ist, scheint, meiner bescheidenen Meinung nach, dem Gewissen eines jeden einzelnen überlassen zu sein, oder es scheint zumindest in der Macht der obersten Behörde zu liegen, das zu bestimmen."
Für die Dogmatiker, Fundamentalisten und Revolutionäre dieser Welt ist dieser Erste Minister Reldresal ein Weichei, das die Widersprüche nur verkleistert, statt sich an ihnen abzuarbeiten und zur Wahrheit vorzudringen. Für diese Ideologen gilt nach wie vor die Lehre des Vorsitzenden Mao Tse Tung vom Kampf zweier Linien, von denen stets nur eine die richtige sein kann, die dem Ziel der Geschichte entspricht und sich infolgedessen auch den Sieg über die falsche erringen wird. Diese gelte es zu erkennen und durchzusetzen. Die Peking Rundschau schreibt im November 1968:
"Der Kampf zweier Linien in der Partei spiegelt den Klassenkampf in der Gesellschaft wider. Die Geschichte unserer Partei ist die Geschichte des Kampfes zweier Linien. Die vom Vorsitzenden Mao repräsentierte richtige proletarisch-revolutionäre Linie hat sich im Verlauf des Kampfes gegen alle Arten von falschen bürgerlich-reaktionären Linien entwickelt."
Der Politische Bericht des ZK des KBW an die 1. ordentliche Delegiertenkonferenz 1974 mochte diesen Kampf nicht allein als theoretisches "Festtagsvergnügen" ausfechten, sondern ihn bis in der alltäglichste Praxis hinein führen:
"Der Kampf zweier Linien ist aber nichts, was neben der Praxis herläuft, sondern ist die Auseinandersetzung über richtig und falsch in praktischen Entscheidungen, denn darin drückt sich aus, ob die proletarische Linie oder ob die bürgerliche Linie der Praxis zugrundegelegt wird ..."
In diesem Sinne konnte man die kleinsten Entscheidungen des täglichen Lebens bis ins Private hinein als Ausdruck des Kampfes zweier Linien betrachten. Was kaufte man wo ein? Welche Kneipen besuchte man? Mit wem ging man ins Bett? Konnte man das noch als proletarisch ansehen oder war das schon als bürgerlich abzulehnen? In der Art und Weise, wie das Frühstücksei aufgeschlagen wird, kann man aber nicht nur ablesen, ob jemand als rechts oder links einzuordnen ist, sondern es offenbart, jedenfalls für geschulte Psychologen, auch noch den gesamten Charakter. Der rücksichtslose, kriegerische, revolutionäre Typus, Napoleon, Lenin, Che Guevara, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt, um seine Interessen durchzusetzen, köpft sein Frühstücksei rücksichtslos, und wenn es sein muß, darüber hinaus noch seine Feinde. Der weiche, friedliche, rücksichtsvolle Charakter, Nero, Marie Antoinette, Helene Fischer, klopft die Schale vorsichtig, ja, fast zärtlich, bis sie fast von allein zerspringt, und läßt sich zur Not lieber selbst köpfen. Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Vorschriften, wie denn das Frühstücksei zu öffnen sei, gibt es nicht. Zum Ziel führen beide Methoden. Wem es nichts ausmacht, sein Innerstes vor seiner Umwelt offenzulegen, der handle seinem Charakter entsprechend, der kriegerische Charakter köpfe, der friedliebende klopfe sein Ei, wer aber Gründe hat, sein Seelenleben zu verbergen, der handle pfeilgrad umgekehrt. Und wer vor gar nichts zurückschreckt, der macht es wie mein Vater, dessen Vater aktiv am Mansfelder Aufstand teilgenommen hatte, und köpft jeden Freitagabend vor der Chorprobe ein rohes Ei, kein gekochtes, und trinkt es auf einen Zug aus. In diesem Sinne wünsche ich ein schönes Wochenende.

Dummheit und Intelligenz

Frau Kusanagi @FrauHasenherz fragt:
"Was siegt in Wirklichkeit: Dummheit oder Intelligenz?"
WikipeteR antwortet: Der Zellbiologe Gerald Crabtree von der Stanford University stellte nach der Auswertung aktueller Studien, die sich mit den genetischen Grundlagen der menschlichen Intelligenz befaßt haben, fest, daß die menschliche Intelligenz seit rund 120 bis 150 Generationen schrittweise abnehme. Der einzigartige Verstand des Menschen basiere auf vielen unterschiedlichen Erbanlagen, die stark zu genetischen Mutationen neigten, wobei schon einzelne Gen-Veränderungen die Intelligenzleistungen des Menschen deutlich schwächten. In Urzeiten mußte man sein Gehirn tagtäglich effektiv nutzen, um zu überleben. Intelligente Jagdstrategien kleinerer Lebensgemeinschaften sicherten die Basis. Nur die Klügsten kamen durch. Die Entwicklung der Landwirtschaft gestattete den Menschen, seßhaft zu werden und in größeren Gruppen zusammenzuleben, die auch schwächere Individuen unterstützten. Wichtiger als die Intelligenz war nun laut Crabtree für den Einzelnen die Eigenschaft, sich vor Krankheiten zu schützen, die in größeren Gruppen häufiger auftreten. Schwächere Individuen konnten fortan besser von der Gemeinschaft mitgetragen werden und überlebten ebenfalls. Das habe zu einer Abnahme der durchschnittlichen Intelligenz geführt. Für Jäger und Sammler, so Crabtree, waren Fehler schnell tödlich. Unsere Nicht-Vorfahren starben demnach meist, "weil sie eine Situation falsch einschätzten oder weil ihnen das intuitive Verständnis für bestimmte Sachverhalte abging - wie etwa die Aerodynamik eines Speers -, während sie ein gefährliches Tier jagten". Nur die Intelligentesten schafften es, sich fortzupflanzen; Mutationen, die die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen, wurden nicht vererbt, sondern verschwanden mit ihrem erfolglosen Träger. Leiste sich dagegen heute ein Wall-Street-Banker ein falsches Urteil, so bekomme er einen dennoch dicken Bonus und sei ein attraktiver Partner. Der Intelligenzforscher James Robert Flynn behauptet das genaue Gegenteil. Anhand von Testergebnissen aus 14 Industrienationen zeigte er auf, daß der gemessene Intelligenzquotient stetig zunehme, und zwar bis in die 1990er Jahre hinein zwischen um 5 bis 25 Punkte pro Generation. Dieses Phänomen wurde nach ihm Flynn-Effekt genannt. Flynn 2008 in einem Interview mit der ZEIT:
"Die Entwicklung muß mit der industriellen Revolution Ende des 19. Jahrhunderts begonnen haben. Damals wurden überall Maschinen angeschafft. Wer damit arbeitete, dem fiel es leichter, das Prinzip Ursache und Wirkung zu begreifen. So begann die wissenschaftliche Denkweise."
Der Flynn-Effekt sei auf die Verbesserung der Umweltbedingungen zurückzuführen, Bildung, Ernährung, Gesundheitsversorgung, Massenmedien, aber auch auf Bevölkerungsdurchmischung durch Urbanisierung und erhöhte Mobilität. Aber gleichgültig, ob eher Crabtree oder eher Flynn richtig liegt, ob Intelligenz eher auf genotypische oder auf phänotypische Faktoren zurückzuführen ist, aktuell scheint nach beiden Ansätzen doch die Dummheit auf dem Vormarsch zu sein. Neuere Tests in Norwegen, Dänemark und Australien zeigen, daß der Flynn-Effekt wieder rückläufig ist. In Dänemark hatte der IQ Ende der 1990er Jahre seinen Höhepunkt erreicht und ist wieder auf das Niveau von 1991 gesunken. Das rapide Bevölkerungswachstum in den wenig entwickelten Weltregionen, das die Bildung einschränkt, und steigende mentale Inaktivität durch mediale Berieselung in den Wohlstandsregionen führe dazu, daß der durchschnittliche globale IQ von 91,5 im Jahre 1950 auf unter 80 noch in diesem Jahrhundert absinken werden. Da ist es dann nicht mehr weit bis zu einem durchschnittlichen Intelligenzquotienten der Menschheit von unter 70. Die Unterschreitung dieser Grenze führte bis ins 20. Jahrhundert zur psychiatrischen Diagnose "Schwachsinn". In der Psychiatrie ist dieser diskriminierende Begriff inzwischen abgeschafft, im § 20 des Strafgesetzbuchs finden wir ihn trotzdem noch zur Kennzeichnung eines Zustands, in dem der Delinquent nicht mehr für seine Taten verantwortlich ist. Wir sausen also, wenn nichts unternommen wird, diese Entwicklung aufzuhalten, mit Riesenschritten auf eine Welt zu, in der die Menschheit nicht mehr für ihre Taten verantwortlich ist. Pegida, AfD und Figuren wie Johnson, Erdogan und Trump als tatsächlich gewählte Politiker sind nur ein Vorgeschmack.

Göttliche Gosse

Irmi (@never_everS21) aus Stuttgart fragt:
Woher stammt der Name "Göttingen" ursprünglich? Waren da Göttinnen am Werk, die Göttingen den Namen gaben? #wikipeterfragen
WikipeteR antwortet:
Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört dem Könige von Hannover, und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen, eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karzer, eine Bibliothek und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist. Der vorbeifließende Bach heißt »die Leine«, und dient des Sommers zum Baden; das Wasser ist sehr kalt und an einigen Orten so breit, daß Lüder wirklich einen großen Anlauf nehmen mußte, als er hinübersprang. Die Stadt selbst ist schön, und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht.
Niemand hat Göttingen bissiger verspottet als Heinrich Heine in seiner "Harzreise", kein Wunder nach seinen schlechten Erfahrungen mit dieser Stadt und dem akademischen Betrieb. Wegen einer Duellforderung nach einer antisemitischen Beleidigung war er er für ein Semester von der Universität geflogen. Vordergründig wegen eines Bordellbesuchs, in Wirklichkeit aber wohl, weil seit dem geheimen Dresdener Burschentag vom September 1820 Juden in den Verbindungen nicht mehr erwünscht waren, hatte man ihn aus seiner Burschenschaft Guestphalia ausgeschlossen. Nach seiner Promotion fand er keine Anstellung, weil durch eine Verfügung von 1822 Juden von akademischen Lehr- und Schulämtern ausgeschlossen waren. Bei der französischen Chansonsängerin Barbara, einer Jüdin, die vor den Nazis fliehen und sich verstecken mußte, entwickelte sich das Verhältnis zur Stadt umgekehrt. Aufgrund ihrer Lebensgeschichte sagte sie 1964 einer Einladung zu einem Gastspiel in Göttingen nur widerwillig zu. Das Konzert drohte auch noch zu platzen, weil man keinen Flügel besorgt hatte. Studenten trieben einen auf, schleppten ihn ins Junge Theater, die Vorstellung begann mit zwei Stunden Verspätung und wurde ein Riesenerfolg. Barbara begann Göttingen in ihr Herz zu schließen und verlängerte ihr Engagement sogar um eine Woche. Am letzten Tag schrieb sie im Garten des Jungen Theaters das schönste Lied, das je über Göttingen gesungen wurde.
Bien sûr, ce n'est pas la Seine, Ce n'est pas le bois de Vincennes, Mais c'est bien joli tout de même, À Göttingen, à Göttingen ... O faites que jamais ne revienne Le temps du sang et de la haine Car il y a des gens que j'aime, À Göttingen, à Göttingen.
Mit der Zeit des Blutvergießens und des Hasses, die nicht zurückkehren soll, meinte Barbara die Zeit des Nationalsozialismus und des 2. Weltkrieges, in Göttingen war man aber nicht erst im 20. Jahrhundert, sondern schon im Mittelalter recht kriegerisch eingestellt. Gegründet wurde die Stadt in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auf Initiative Heinrich des Löwen und schon nach einem Jahrhundert hatte sich Göttingen so gut entwickelt, daß man begann, sich aus der Abhängigkeit der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg zu lösen und gegen diese aufzubegehren. Die Göttinger zogen zur Pfalz Grone und zerstörten die Burganlage. Als Gegenmaßnahme ließ Herzog Albrecht der Feiste außerhalb der Stadtmauern etwa am heutigen Groner Tor eine Neustadt anlegen, die aber der Wirtschaftskraft Göttingens nicht gewachsen war. Noch nicht einmal dreißig Jahre später mußte sein Sohn Otto die Neustadt für 300 Mark an den Rat der Stadt verkaufen. Ein anderer Otto, Herzog Otto der Quade versuchte 1387, seinen Einfluß in Göttingen miltärisch durchzusetzen, scheiterte aber komplett. Im April erstürmten die Göttinger die herzogliche Burg innerhalb der Stadtmauern (in der jetzigen Burgstraße) und besiegten im Juli die fürstliche Streitmacht in einer offenen Feldschlacht zwischen Rosdorf und Grone. Otto mußte die Freiheit der Göttinger Güter anerkennen und nach Hardegsen umziehen. Seinen Namen, um die Frage doch noch zu beantworten, hat Göttingen vom Dorf Gutingi übernommen, das bei der Stadtgründung schon einige Jahrhunderte bestand. Gutingi, das waren ein paar Hütten rings um die Albanikirche und die heutige Lange Geismarstraße hinunter, entlang eines Baches, des späteren Reinsgrabens, der damals "Gote" genannt wurde, womit man kleinere Wasserläufe bezeichnete. Gutingi bedeutet nichts als "Siedlung am Wasserlauf". Das germanische "gote" aber wandelte sich sprachgeschichtlich zur deutschen "Gosse" und bezeichnet nur noch Abwasserrinnen längs der Straßen. In Göttingen steckt also rein gar nichts Göttliches, es bedeutet einfach "Siedlung an der Gosse" und das erklärt vielleicht, warum es so anziehend auf die braune Jauche und ihre Mahnwachen und Umzüge wirkt.

Barthes, Kommunikationsguerilla und PARTEI

fflepp @andyamholst fragt:
("Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?" Barthes)
WikipeteR antwortet: Ja, ja, ja und abermals: JA! Ein überaus gelungenes Beispiel einer solchen Kommunikationsguerilla gibt die Partei Die PARTEI, der politische Arm der Titanic, der 2004 - gute Güte, 12 Jahre ist das auch schon wieder her - aus dem geschützten Raum (und Käfig - jawohl!) einer Satirezeitschrift befreit und in den politischen Alltag geworfen wurde. Und die PARTEI lebt immer noch. Pfeilgrad deshalb, weil sie eben nicht darauf aus war, als Anti-Partei zu wirken und die Codes zu zerstören, sondern als uneigentliche Partei diese zu entstellen. Wenn Materie auf Antimaterie trifft, Physiker wissen es, Science-Fiction-Leser und Verschwörungstheoretiker noch besser, vergehen beide ins Nichts. Bei diesem Akt der Zerstörung wird ungeheure Energie freigesetzt. Treffen Parteien und Antiparteien aufeinander, ist es ebenso. Nur, daß man mit der dabei freigesetzten Energie noch nicht einmal einen Akku aufladen kann. Die Geschichte zeigt es. Die beiden großen Konzepte des vergangenen 20. Jahrhunderts für Antiparteien und Antipolitik, Lenins "Was tun?" von 1905 und Hitlers "Mein Kampf" von 1925, haben außer Zerstörung nichts bewirkt, die gesellschaftlichen Veränderungen, die ursprünglich damit beabsichtigt waren, dabei noch nicht einmal im Ansatz hergestellt. Alle Versuche von rechts wie auch von links, diese zerstörerischen Anti-Konzepte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wiederzubeleben, können wir unter dem Gesichtspunkt, daß nach Hegel "alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen", nach Marx "das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce", getrost belachen, so gefährlich sie uns auch aktuell erschienen sind oder noch erscheinen. Wenn ich recht informiert bin, hat Roland Barthes seine Frage - "Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?" - schon 1957 gestellt, sie war aber nicht auf politisches Handeln außerhalb, sondern auf die Schreibweise (écriture) von Literatur als eine dritte Dimension künstlerischer Form zwischen Sprache und Stil gemünzt. Sprache sei nicht als Transportmittel bestimmter Botschaften zu verstehen, sondern Bühne für das Spiel der Wörter. Subversion sei die Arbeit des Verschiebens, über die Austausch und Verschmelzen von Poesie und Kritik möglich seien. Die Kommunikationsguerilla - von den Spontigruppen der 1970er und 1980er Jahre über Hackerkultur und Diskordianismus bis hin zum Zentrum für politische Schönheit heute - überträgt nun die Tätigkeit des Verschiebens und Entstellens der Codes aus den engen Grenzen der Literatur in vielfältige Formen des politischen Aktivismus und erweitert ihr Werkzeug, das uneigentliche Sprechen, um das uneigentliche Handeln. Instrumente des uneigentlichen Sprechens sind die schon aus der Antike bekannten rhetorischen Tropen wie etwa Hyperbel, Ironie, Litotes, Metonymie, Synekdoche oder Katachrese, Interessierte mögen googeln oder sich besser ein Lehrbuch in der nächstgelegenen Universitätsbibliothek ausleihen, Instrumente des uneigentlichen Handelns sind etwa Camouflage, Collage, Montage, Erfindung falscher Tatsachen zur Schaffung wahrer Ereignisse, Faken, subversive Affirmation, Überidentifizierung oder Verfremdung. Auf Facebook, Twitter und anderswo gibt es immer wieder die Forderung, uneigentliches Sprechen als solches zu kennzeichnen, beispielsweise durch spezielle Ironietags oder ein nachgeschobenes "Nicht". Aber dann wäre es kein uneigentliches Sprechen mehr, sondern Klartext und verlöre seine subversive Wirkung. Vielleicht ist es aber der Zweck solcher Forderungen, pfeilgrad diese Subversion zu verhindern, die durch die Unbestimmtheit und den daraus resultierenden Zwang zum Denken hervorgerufen wird. Die Meister dieses Fachs, Andy Kaufman, M.A. Numminen und auch Helge Schneider, haben ihr öffentliches Reden und Handeln aus gutem Grund nie als uneigentlich gekennzeichnet. Das unterscheidet sie von den Komikern und Witzeerzählern wie Mario Barth oder Atze Schröder. Auch die Partei Die PARTEI sollte die Hände von jeglicher Kennzeichnung als Satire lassen und weder als eigentliche Partei noch als Anti-Partei noch als Alternative für den Wutbürger handeln, sondern stets als uneigentliche PARTEI größtmögliche subversive Wirkung entfalten. Dann und nur dann kann sie vielleicht einmal einen ähnlichen Erfolg feiern wie Jón Gnarr mit seiner "Besti flokkurinn" (Die beste Partei) in Island, der es mit der Parole "Alles ist machbar!", Forderungen wie kostenlose Handtuchnutzung in Schwimmbädern und Kommunikationsguerilla-Aktionen zum Bürgermeister von Reykjavík gebracht hat.