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Das Schweigen im Walde

Frank Lepold (fflepp @andyamholst) aus Offenbach fragt:
"Wenn der Beredte schweigt weils ihm die Sprache verschlägt ... Taugt er dann später zum Zeugen?"
WikipeteR antwortet:
"Therefore if any man can shew any just cause, why they may not lawfully be joined together, let him now speak, or else hereafter for ever hold his peace." "Wenn nun Jemand rechte Ursach anzeigen kann, warum sie nicht mit einander verbunden werden sollten, so spreche er jetzt oder schweige nochmals für immer." (Quelle: The BOOK of Common Prayer, And Administration of the SACRAMENTS, AND OTHER RITES and CEREMONIES OF THE CHURCH, According to the Use of The CHURCH of ENGLAND: TOGETHER WITH THE PSALTER OR PSALMS of DAVID, Pointed as they are to be sung or said in Churches, Cambridge 1662)
Diese Sätze aus der Trauungszeremonie der Anglikanischen Kirche sind der Welt aus gefühlt hunderttausend Hollywoodschinken bekannt. Zumindest in diesem Fall ist, wer nicht rechtzeitig seinen Mund aufbekommt, dazu verdammt, ihn immer und ewig zu halten. In den wenigsten Fällen wird Schweigen als unangenehm empfunden oder dargestellt: in Ingmar Bergmans "Das Schweigen", wenn Gott schweigt und der Mensch in sündige Kälte verfällt, in "Das Schweigen der Lämmer", wenn das Blöken der Opfer vor der Schlachtung unheilvoll verstummt, in zahllosen Krimis macht Schweigen die Verdächtigen nur umso verdächtiger.
"Schweigst du aus dem Gefühl der Unschuld oder Schuld?" (Schiller: Die Jungfrau von Orleans)
Von solchen Ausnahmen abgesehen, wird Schweigen meist als erstrebenswerte Tugend dargestellt, insbesondere für die breite Masse der Untertanen und Regierten. "In mannigfachen wendungen empfiehlt die volksweisheit das zähmen der zunge", heißt es dazu im Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm im Artikel "SCHWEIGEN".
"Si tacuisses, philosophus mansisses."
"Reden ist Silber, Schweigen ist Gold."
"swer niht wol gereden kan, der swîge und sî ein weiser man." (Magister Vridancus ca. 1230)
"schweigen ist ain grosse tugent, baid an alter und an iugent ... schweigen schadet chainem man, vil claffen wol geschaden kan." (Clara Hätzlerin ca. 1470)
"es ist keyn kleyd das einer frawen basz anstehet, dann schweigen." (Sebstian Franck 1541).
Besonders Luther - warum wundert mich das jetzt nicht? - hat sich darin hervorgetan, denjenigen, die gegen die Obrigkeit aufbegehrt haben, "solchen unnützen Leuten das Maul zu stopfen", "wie man die heiszt schweigen, die da reden und rumorn mit Worten" und "auff das aber gott schweige, dempffe und mit gewalt zu boden schlage, diese schedliche unnd wütende bestien" (1568). Martin Niemöller (1892 - 1984), "Bekennende Kirche", ein Lutheraner wie er im Buche steht, hat es gegenüber der weltlichen Obrigkeit stets so gehalten wie von Luther in seinen Predigten und Tischreden gefordert. 1937 war es dann zu spät und er saß selbst im KZ Sachsenhausen.
"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."
Pastor Niemöller hat zuerst, obwohl äußerst beredt, gegenüber dem Nationalsozialismus geschwiegen, und hat hinterher trotzdem noch zum Zeugen getaugt. Leider nur noch zum Zeitzeugen, denn der Spuk war schon drei Jahrzehnte vorbei und als er seine berühmte Erkenntnis besaß nur noch Entschuldigungswert. Wir sollten vielleicht nicht solange abwarten und unser Maul ein wenig früher aufmachen, wenn es noch nicht soviel kostet. In manchen Gegenden Süddeutschlands, das hat mich das grimmsche Wörterbuch heute gelehrt, heißen die Almwiesen, auf die man im Sommer das Vieh treibt auch Schweigen - vielleicht, weil es dort so ruhig ist? - und "schweigen" hat die Bedeutung "Käse machen". Dort gilt das Sprichwort in einer leicht abgewandelten Form:
Reden ist Silber, Schweigen ist Käse.
Das sollten wir uns alle zu Herzen nehmen und das Maul lieber einmal zuviel als zuwenig aufreißen. In diesem Sinne: ein schönes Wochenende.