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Stuhlgang

Tobi Depunkt von der Partei Die PARTEI fragt:
"Lieber #WikiPeter, warum spricht man beim großen Geschäft eigentlich von Stuhlgang?"
WikipeteR antwortet:
"Wenn man die erkrankten Personen nicht sofort behandeln würde, wäre das Altenheim innerhalb kurzer Zeit von einem braunen Sud befallen. Und am Ende macht keiner mehr das Maul auf, denn wer bis Oberkante Unterlippe in der Scheiße steht, befürchtet, daß es direkt rein läuft. Und damit sind wir beim Thema! Sie verstehen: Wenn man Scheiße an den Hacken hat, sollte man rechtzeitig handeln."
Mit diesen derben und schönen Worten wurde am 8. Dezember im Göttinger Kreistag von Rieke Wolters (Die PARTEI) die Resolution "Mitglieder des Kreistages, Stadt- und Gemeinderäte dürfen nicht bedroht werden" begründet. Anlaß dieser von der Kreistagsgruppe Linke/Piraten/PARTEI eingebrachten Resolution war ein bewaffneter Angriff des faschistischen "Freundeskreises Thüringen/Südniedersachsen" auf den Kreistagsabgeordneten Meinhart Ramaswamy (Piraten) und dessen Familie. Die Polizei hatte diese Hardcore-Nazis vorher freundlich von Duderstadt nach Göttingen eskortiert und dort losgelassen. Und worüber regte man sich auf? Sie erraten es: über die Wortwahl. Dabei ist das Wort, über das man sich da aufregt, höchst zutreffend für das, was damit gekennzeichnet werden soll. Das Wort "Scheiße" (auch: scheisze, schite, schiet) kann schriftlich bis in die Zeit vor der ersten Jahrtausendwende nachgewiesen werden und bezeichnete zunächst wie auch sein weniger anrüchiges Pendant "Stuhlgang" (auch: stulgang) aus der heutigen Frage das Exkrement nur in seiner krankhaften Form der Diarrhoe, vulgo Dünnpfiff.
"und welliche frau irem mann ist undertan, der wünsch ich, dasz si ir lebtag müesz die scheisze han." (Fastnachtsspiel aus dem 15. Jahrhundert)
So alt wie das Wort selbst, ist auch die Gewohnheit, "Scheiße" im übertragenen Sinn auf alles im Leben anzuwenden, das verachtenswert, schlecht und nichts wert ist.
"nicht ein schite mochte mi schaden, mochte ik leven." Des dodes dantz, Lübeck 1486
Zumindest in den letzten beiden Jahrhunderten scheint das Wort selbst ein noch geringeres Ansehen gehabt zu haben als das, was es im übertragenen Sinne bezeichnet. In den Duden wurde "Scheiße" deshalb erst in die 11. Auflage 1934 aufgenommen und die Synonyme tummeln sich in der deutschen Sprache gleich dutzendweise: Ausscheidung, Stuhl, Haufen, Kacke, Kot, Losung, Aa, Dejekt, Fäzes, Exkret, Fäkalien (darauf möchte ich am Heiligabend im Zusammenhang mit den Fake-News zurückkommen) und nicht zuletzt das "große Geschäft" aus der heutigen Frage.
"Es giebt Geschäfte, die auch der Groß=Sultan, und gält es sein Leben, nicht anders als Selbst verrichten kann." Christoph Martin Wieland, Der neue Amadis, 1771
Schon vor zweieinhalb Jahrhunderten umschrieb man also den Toilettengang so, seinen Ursprung hat die Wendung "sein Geschäft verrichten" (negotium conficere) dafür aber schon im alten Rom. Damals waren dort öffentliche Latrinen üblich, wo die Toilettengänger in geselliger Runde zusammensaßen und gemütlich miteinander plauderten. Für die römische Oberschicht gab es zudem spezielle Luxuslatrinen, inklusive Marmorsitzen und Fußbodenheizung. Und in dieser angenehmen Atmosphäre hat man eben nicht nur sein großes oder kleines Geschäft verrichtet, sondern auch echte Geschäfte untereinander abgeschlossen. In nicht ganz so angenehmer Atmospäre, auf (immerhin) gepolsterten Stühlen statt auf vorgewärmtem Marmor, hat der Kreistag am 8. Dezember übrigens anstelle der von Linken, Piraten & PARTEI vorgeschlagenen die Resolution "Für Politik ohne Gewalt!" beschlossen - eine Resolution mit einer vorangestellten Distanzierung "von jeder Form des politischen Extremismus" und ohne konkreten Hinweis auf den bewaffneten Angriff gegen Meinhart Ramaswamy und die Ecke, aus der dieser Angrif kam.
"Denn wir haben hier ein Problem mit dem braunen Sud." Rieke Wolters
Wer das nicht sehen will und statt Roß und Reiter klar zu benennen, verniedlichend, abwiegelnd und hohl gegen "jede Form des politischen Extremismus" nebelt, wird eines Tages jämmerlich in dieser Scheiße ersaufen.