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Einhorn

Christian Dingeskirchen aus Scharzfeld fragt:
"Lieber WikiPeter, kann man aus dem Horn eines Einhorns ein Trinkhorn machen und wenn ja schmeckt das Bier daraus besser?"
WikipeteR antwortet: Blut, Met, vergorene Stutenmilch und Kräuterschnäpse munden bekanntlich aus Tiergehörn besonders gut, aber leider vertragen sich die Keratin-Aminosäureketten, die sich rechts- und linksgängig zu Horn-Protofibrillen ineinander lagern, nicht so gut mit Bierhefen. Deshalb nimmt man dieses Getränk besser aus Glasgefäßen zu sich. Außerdem ist das Horn eines Einhorns viel zu groß, um daraus zu trinken. 1663 wurde im Nordharz das Skelett eines Einhorns ausgegraben. Sowohl der Magdeburger Bürgermeister und Begründer der Vakuumtechnik Otto von Guericke 1672 in "Experimenta Nova (ut vocantur) Magdeburgica de Vacuo Spatio" als auch der hannöversche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz 1691 im Manuskript seiner "Protogaea oder Abhandlung von der ersten Gestalt der Erde und den Spuren der Historie in den Denkmalen der Natur" beschreiben das Horn übereinstimmend als knapp drei Meter lang und schienbeindick:
"Es trug sich auch in eben diesem Jahre 1663 in Quedlinburg zu, dass man in einem beim Volke Zeunickenberg genannten Berge, wo Gipssteine gebrochen werden, und zwar in einem von dessen Felsen das Gerippe eines Einhorns fand, mit dem hinteren Körperteil, wie dies bei Tieren zu sein pflegt, zurückgestreckt, bei nach oben erhobenem Kopfe auf der Stirn nach vorn ein langgestrecktes Horn von der Dicke eines menschlichen Schienbeins tragend, im entsprechenden Verhältnis hierzu etwa 5 Ellen in der Länge."
Gottfried Wilhelm Leibniz: Protogaea sive de prima facie telluris et antiquissimae historiae vestigiis, Göttingen 1749
Gottfried Wilhelm Leibniz: Protogaea sive de prima facie telluris et antiquissimae historiae vestigiis, Göttingen 1749
Leibniz hat seiner Beschreibung des Fundes noch eine Zeichnung "Figura sceleti prope Quedlinburgum efossi" beigefügt.
Figura sceleti prope Quedlinburgum efossi
Figura sceleti prope Quedlinburgum efossi
Der einzig bisher bekannt gewordene Knochenfund verweist also die Pferde- beziehungsweise Gazellenähnlichkeit des Einhorns ins Reich der Legende respektive Phantasie. Besucher der Einhornhöhle bei Scharzfeld im Harz können sich selbst ein Bild von der wahren Einhorngestalt machen. Vor dem Höhleneingang ist ein 1:1-Modell des 1663 gefundenen Skeletts aufgebaut.
Modell des Einhornskeletts vor dem Eingang der Scharzfelder Höhle
Modell des Einhornskeletts vor dem Eingang der Scharzfelder Höhle
Mit ihrem bis zu dreißig Meter hohem Lockergesteinsediment ist die Scharzfelder Höhle einer der fossilienreichsten Orte der Welt mit den besten Bedingungen für eine ausgezeichnete Konservierung von Knochen und Zähnen. Die ganzjährige Durchschnittstemperatur liegt wie in einem Kühlschrank bei 5,3° C. Der Boden ist so kalkreich, daß den Knochen nicht wie im normalen Erdreich üblich der Kalk entzogen wird und eine Demineralisierung über Jahrtausende nicht stattfindet. Ein 100.000 Jahre alter Knochen kann durch diese Umstände den gleichen Erhaltungszustand vorweisen wie der eines vor einem halben Jahr oberirdisch verendeten Tieres. Über Jahrhunderte wurde die Einhornhöhle vor allem wegen der hervorragenden Qualität und medizinischen Wirksamkeite der Fossilien von Knochenräubern heimgesucht. Die geraubten Knochen wurden zu Pulver zermahlen und als "unicornu fossile" (gegrabenes Einhorn) bzw. des höheren Preises wegen als "unicornu verum" (echtes Einhorn) verkauft.
"Endlich wird das so genannte unicornu fossile oder gegrabenes Berg=Einhorn auch in dieser Scharzfelsischen Hölengefunden, bey weiten aber nicht mehr in solcher Menge als vor diesen, da es darinnen von denen Benachbarten vielfältig ausgegraben, und von denselben, darunter noch einige anjezoam Leben, unter andern meinem seligen Vater Johann Henning Behrens, weyland E. E. Raths=Apothecker allhier, häufig zu Kauffe gebracht wurde, als welcher solches nicht allein vor die von E. E. Rathe gepachtete Apothecke behielt, sondern auch an andere Oerter, da solches nicht gegraben wird, versendete, und daselbst denen Herren Apotheckern und Materialisten wieder verhandelte." Georg Henning Behrens, Hercynia Curiosa oder Curiöser Harz-Wald. Das ist Sonderbahre Beschreibung und Verzeichnis derer curiösen Hölen, Seen, Brunnen, Bergen und vielen anderen an und auf dem Harz vorhandenen Denckwürdigen Sachen, mit unterschiedenen nützlichen und ergetzlichen medizinischen, physikalischen und historischen Anmerkungen denen Liebhabern solcher Curiositäten zur Lust herausgegeben, Nordhausen 1703
Das Einhornpulver galt im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit quasi als Allheilmittel und war bis ins 18. Jahrhundert hinein bei den Patienten so beliebt wie heute etwa die Globuli. So ließ Graf Albrecht von Mansfeld am 17. Februar 1546 um neun Uhr abends, sechs Stunden vor dessen Tod Martin Luther seinen Arzt eine Portion Einhorn in einem Löffel Wein als Schlafmittel eingeben. Das "unicornu fossile" hatte als Medikament einen so guten Ruf, daß das Einhorn schlechthin zum Symbol der Pharmazie wurde. Viele Apotheken im Harzvorland, so in Goslar, Nordhausen und Bad Lauterberg, tragen noch heute die Bezeichnung "Einhorn-Apotheke". Auch der Eingangsbereich der 250-jährigen Universitätsapotheke am Markt in Göttingen wird nach wie von einer reliefartigen Einhornabbildung geziert. Doch auch schon damals war niemand vor Fälschungen sicher.
"Einen sonderlichen Geruch mercket man an dem unicornu minerale gemeiniglich nicht, doch trifft man einiges an, so ziemlich lieblich nach Quitten und andern Sachen riechet, und ist zu glauben, daß dasselbe solchen angenehmen Geruch von einem wohl riechenden bitumine bekommen habe, indem das steinichte Wasser in der Erde eine solche bituminosische Ader angetroffen davon etwas auffgelöset, und nach der Materie des gegrabenen Einhorns geführet hat. Ebenfalls hat dasselbe auch keinen mercklichen Geschmack nicht, und wird man bey demselben leichtlich keinen andern Geschmack, als an einer Kreide ist, antreffen. Zur Arzney wird das weisse vor das beste gehalten, und am meisten gesucher, welches aber auch rar und nicht so gemein als das andere ist; derowegen sich etliche sehr bemühen, durch Kunst auff gewisse Art dem grauen schwarz und gelblichten eine weisse Farbe zuwege zu bringen, da es doch die weisse nicht alleine thut ..." Georg Henning Behrens, Hercynia Curiosa oder Curiöser Harz-Wald, 1703
Die Fälschungen überschwemmten den Markt. Gleichzeitig ließ das Publikumsinteresse an dem Wundermittel stetig nach. Die Preise verfielen im gleichen Maß und gegen Ende des 18. Jahrhunderts lohnte es sich nicht mehr, nach Einhornknochen zu graben. Universalgelehrte und Forscher (Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Wolfgang von Goethe, George de Cuvier, Johann Friedrich Blumenbach, Rudolf Virchow, Karl Hermann Jacob-Friesen) sowie Touristen (Herzog Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg, alle hannoverschen Könige des 19. Jahrhunderts, Hinz & Kunz seit 1904) lösten die Fossilienräuber ab. Die Knochenfunde wurden nun nicht mehr zermahlen und zu Medikamenten verarbeitet, sondern von Paläontologen wissenschaftlich untersucht. In ihrer wahren Gestalt passen Einhörner in keinen Stall und erst recht nicht in eine Wohnung. Man kann kaum auf ihnen reiten. Ihr Gehörn ist wegen seiner Ausmaße als Trinkgefäß denkbar ungeeignet. Die zermahlenen Knochen sind als Wunder=Arzney in etwa so wirksam wie Globuli, rangieren im Zeitalter veganer Lebensweise in der Beliebtheitsskala ziemlich weit unten. Außerdem ist es zu mühsam, nach ihnen zu graben. Einzig die in wunderbar leuchtenden Farben verharzten Einhorntränen, die gerade jetzt bei Temperaturen um den Nullpunkt überall im Harz (sic!) an die Erdoberfläche gedrückt werden, finden noch Verwendung und werden von der Partei Die PARTEI im Wahlkampf als "Glitzerdinger" vorzugsweise an das weibliche Wahlvolk und an Kinder verteilt.
Bei Temperaturen um den Nullpunkt werden verharzte Einhorntränen an die Erdoberfläche gedrückt
Bei Temperaturen um den Nullpunkt werden verharzte Einhorntränen an die Erdoberfläche gedrückt
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch ein zauberhaft glitzerndes Rest-Wochenende.

Verbieten?

Irmi (@never_everS21) aus Stuttgart fragt:
"Was geschieht / kann geschehen, wenn Parteien verboten werden? Was lehrt uns die Geschichte?"
WikipeteR antwortet:
"Freiheitliche demokratische Grundordnung ... ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition."
So haben wir es gelernt: diese "freiheitliche demokratische Grundordnung" als Quintessenz unserer Verfassung, als der Heilige Gral unserer "wehrhaften Demokratie", von "diesem unseren Land" eingesogen mit der Muttermilch des Grundgesetzes. Als dieses unser Grundgesetz 1949 in Kraft trat, wurde die "freiheitliche demokratische Grundordnung" lediglich an zwei Stellen erwähnt. Ohne nähere Ausführungen. Im Artikel 18 "verwirkt diese Grundrechte", wer sie "zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht", im Artikel 21 wird festgelegt, "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Definiert wurde die "freiheitliche demokratische Grundordnung" erst 1952 im Verbotsurteil gegen die Sozialistische Reichspartei, maßgeschneidert, um auf der Grundlage dieser Definition (wörtlich oben im Eingangszitat) die SRP und vier Jahre später die KPD überhaupt verbieten zu können. Mitglieder (ca. 40.000), Wähler (1951 11% in Niedersachsen) und Parteiprogramm (zum Beispiel "Notwendigkeit" einer "Lösung der Judenfrage") hatte die SRP zum größten Teil von der NSDAP übernommen, die Schwelle für das Verbot wurde nicht besonders hoch angesetzt:
"Erreicht die Abkehr von demokratischen Organisationsgrundsätzen in der inneren Ordnung einer Partei einen solchen Grad, daß sie nur als Ausdruck einer grundsätzlich demokratiefeindlichen Haltung erklärbar ist, dann kann, namentlich wenn auch andere Umstände diese Einstellung der Partei bestätigen, der Tatbestand des Art. 21 II GG erfüllt sein."
Beim Verbot der KPD - 78.000 Mitglieder, 5,7% bei der Bundestagswahl 1949, nur noch 2,2% 1953, aber neun Millionen Nein-Stimmen gegen die Remilitarisierung bei der (1951 verbotenen) Volksbefragung gesammelt - machte man es sich mitten in der Debatte um die Wiederbewaffnung und die entsprechende Grundgesetzänderung nicht ganz so einfach.
"Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 2, 1 [12 f.]) nicht anerkennt; es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen."
Mit dem Urteil im NPD-Verbotsverfahren am letzten Dienstag hat das Bundesverfassungsgericht die Hürde noch einmal ein Stück höher gelegt.
"Dass dadurch eine konkrete Gefahr für die durch Art. 21 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter begründet wird, ist nicht erforderlich. Allerdings bedarf es konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen."
Ein Parteiverbot ist nach diesen Kriterien erst möglich, wenn der Umsturz praktisch vor der Tür steht. Und das ist auch gut so. Die Erfahrungen aus den beiden einzigen Parteiverboten in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben gezeigt, daß die politischen Strömungen, aus denen heraus sich diese Parteien gebildet haben, sich mit Parteiverbot und juristischer Verfolgung weder verbieten noch bekämpfen lassen, weil Verbote an den gesellschaftlichen Verhältnissen nichts ändern, aus denen diese Strömungen hervorgehen. Die SRP löste sich kurz vor dem Verbotsurteil in voreilendem Gehorsam selbst auf. Nach dem Verbot versuchte man mehrmals, Ersatzorganisationen zu gründen, die aber allesamt frühzeitig von den in den alten Vorstand eingeschleusten V-Leuten des Verfassungsschutzes aufgedeckt wurden und daran scheiterten. Schließlich erwies sich die nicht so offen nationalsozialistische, eher nationalkonservativ ausgerichtete Deutsche Reichspartei als geeignetes Sammelbecken für ehemalige SRP-Mitglieder. Als sich 1964 die NPD gründete, zugelassen wurde und erste Erfolge bei Landtagswahlen erzielte, hatte die DRP ihren Zweck erfüllt und löste sich 1965 auf. Wesentlich härter als die SRP-Nazis wurden die KPD-Mitglieder nach dem Verbot verfolgt. Noch am Tag der Urteilsverkündigung wurden alle Parteibüros polizeilich geschlossen, das Parteivermögen, Immobilien, Druckereien und 17 Zeitungen beschlagnahmt sowie 33 Funktionäre festgenommen. Teile der Führungsspitze hatten sich allerdings schon vor der Urteilsverkündigung vorsorglich in die DDR abgesetzt. Es folgten 125.000 bis 200.000 (je nach Quelle) Ermittlungsverfahren und 7.000 bis 10.000 Verurteilungen. Auch wenn es nicht zu einer Verurteilung kam, bedeutete allein das Verfahren für viele Entlassung und dauernde Arbeitslosigkeit, weil nach der damaligen Rechtslage schon der Verdacht einer Straftat ein Kündigungsgrund war. Verurteilt wurden unter anderem auch viele Kommunisten, die schon im Dritten Reich lange Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen mußten, und Menschen, denen zwar keine Verbindungen zur KPD vor oder nach dem Verbot nachgewiesen werden konnte, die aber einzelne Programmpunkte teilten oder Kontakte in die DDR hatten. Ein Teil der Mitglieder führte die politische Arbeit mit Unterstützung aus der DDR trotz des Verbots offen oder in Tarnorganisationen weiter und riskierte erneute Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Verurteilungen. Einige der Funktionäre, die in die DDR geflohen waren, kehrten konspirativ zurück.
"Hier ist der Deutsche Freiheitssender 904 - der einzige Sender der Bundesrepublik, der nicht unter Regierungskontrolle steht."
Mit den ersten Takte des Hauptthemas von Beethovens Ode an die Freude und diesen Worten meldete sich am Abend des 17. August 1956, dem Tag des Verbotsurteils, auf Mittelwelle Burg 904 kHz der Sender DFS 904, die propagandistische Antwort der DDR auf das KPD-Verbot. Mit seiner Mischung aus durchsichtigen Propagandanachrichten, populärer Musik, die damals auch von den westlichen Radiosendern nur spärlich gespielt wurde, und den "Eidechsen", verschlüsselten Kurznachrichten ("Achtung, Achtung! Wir rufen Kaffeekränzchen. Der Kuchen ist angebrannt.") für Agenten und Genossen, wie wir annahmen, besaß dieser Sender Unterhaltungswert und genoß Mitte der 1960er Jahre bei uns Westjugendlichen einen gewissen Kultstatus. Die Zeitungen und Druckereien der KPD waren zwar samt und sonders beschlagnahmt, die Partei hatte aber schon 1953 zumindest für den hohen Norden der Republik für Ersatz gesorgt. Ernst Aust, bis dahin Redakteur der Hamburger Volkszeitung, übernahm im Parteiauftrag die Zeitschrift "Blinkfüer, Wochenzeitung der Bewegung zur Befreiung Helgolands". Das Blatt bestach durch eine bildzeitungsähnliche Mischung aus Meinungsmache ("Bundeswehr unerwünscht!", "DDR anerkennen!") und absurder Unterhaltung ("Hahn zeugte Ente") und geriet bundesweit in die Schlagzeilen, als der Springer-Konzern nach dem Mauerbau zum Boykott aufrief. Der Axel-Springer-Verlag und der Verlag der Welt forderten die Hamburger Zeitungshändler auf, keine Zeitungen mehr zu verkaufen, die "ostzonale Rundfunk- und Fernsehprogramme" abdruckten. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen, drohten Springer und Welt, sie müssten sonst gegebenenfalls die Geschäftsbeziehungen zu diesen Händlern abbrechen. 1969 entschied das Bundesverfassungsgericht gegen Springer: "Das Ziel der Pressefreiheit, die Bildung einer freien öffentlichen Meinung zu erleichtern und zu gewährleisten, erfordert deshalb den Schutz der Presse gegenüber Versuchen, den Wettbewerb der Meinungen durch wirtschaftliche Druckmittel auszuschalten." Zu diesem Zeitpunkt war Ernst Aust schon nicht mehr beim "Blinkfüer". Er hatte sich von der KPD abgewandt, seine eigene Zeitung, den "Roten Morgen", und seine eigene Partei, die KPD/ML, gegründet. Das KPD-Verbot sei "exemplarisch notwendig" und dabei "rechtsstaatlich gebändigt" gewesen, eine Wiederzulassung, wie die KPD sie forderte, sei unmöglich, da sie direkt in die Gewaltenteilung eingreife, das war die übereinstimmende Ansicht aller damals im Bundestag vertretenen Parteien. Die Große Koalition wollte aber das Verhältnis zur DDR verbessern und die Arbeit von Kommunisten in der Bundesrepublik wieder legalisieren. Den bittstellenden Funktionären der KPD schlug Justizminister Gustav Heinemann deshalb eine Neugründung als Ausweg vor. Der Vorschlag wurde angenommen und im September 1968 die Deutsche Kommunistische Partei gegründet, die bis heute besteht, aber unbedeutend geblieben ist. Die Lage hatte sich nämlich gewaltig geändert. Die meisten jungen Linken orientierten sich 1968 an der antiautoritären außerparlamentarischen Bewegung. Viele, die sich als Kommunisten verstanden, hielten die DKP als zu weichgespült und moskauorientiert. Deshalb wurden zu dieser Zeit auch ein gutes Dutzend andere kommunistische Parteien und Organisationen gegründet, die sich als "Marxisten-Leninisten" verstanden und ihre Linie an China und Mao Tse Tung ausrichteten, zum Beispiel Silvester 1968 die von Ernst Aust geführte KPD/ML und schon im April 1967 die Erstgeborene, die Freie Sozialistische Partei (Marxisten-Leninisten). "Stalinisten und Bundesverfassungsschützler Hand in Hand" ist ein Bericht von der Gründungskonferenz der FSP/ML überschrieben, auf der es ziemlich turbulent hergegangen sein muß.
"Vielleicht 50 bis 70 Anwesende, vorzugsweise aus der KPD gekommene DFU-Anhänger, waren gekommen. [...] Tumultartige Szenen gab es, nur zum Stören und Zwietrachtsäen waren die DFU-KPD-Anhänger gekommen, was sie auch fast vollkommen erreichten, womit sie ihre 'demokratische Gesinnung' wieder klar unter Beweis gestellt hatten, auch dem Bundesverfassungsschutz, der doch bei diesen und ähnlichen Veranstaltungen massig vertreten ist."
Die Tumulte führten zur Auflösung der Versammlung. Die KPD-Anhänger zogen ab. Nach dem Mittagessen wurden dann von einem kleineren Gremium, etwa 15 Leute, die Partei tatsächlich gegründet. Nach dem Bericht, aus dem ich hier zitiere, war nicht nur der Leiter der Vormittagsversammlung ein bekannter Verfassungsschützer, auch die gesamte KPD nebst der DFU soll vom Verfassungsschutz durchsetzt gewesen sein. Das paßt zu dem, was mir Genossen sechs Jahre später über diese Parteigründung erzählten. Danach hätten im ersten ZK der FSP/ML neben dem Wirt des Parteilokals unter anderem auch zwei Verfassungsschützer gesessen. Mangels Masse. Ich kann das nicht nachprüfen, aber warum soll es der Linken anders ergangen sein und anders ergehen als der Rechten, 1952 der SRP und heute der NPD? Der Verfassungsschutz beobachtet nicht nur, er spielt aktiv mit und erhält Parteileichen am Leben. Die Verfassungsschützer brauchen Verfassungsfeinde als Arbeitsbeschaffungsprogramm und zur eigenen Existenzberechtigung. Beide bisherigen Parteiverbote, das der SRP 1952 und das der KPD 1956, haben gegen die zugrundeliegenden politischen und weltanschaulichen Auffassungen nichts ausrichten können, im Gegenteil. Verbote züchten erst die Märtyrer und Helden, die vor allem fundamentaloppositionelle Bewegungen brauchen, um attraktiv zu sein. Nichts anderes hätte ein Verbot der NPD bewirkt. Parteiverbote treiben in den Untergrund und verhindern eine offene Auseinandersetzung. Wer nach Verboten schreit, drückt damit eine gewisse Hilflosigkeit aus. So wenig Vertrauen in die Kraft der eigenen Argumente, Leute? Die Wahrheit ist nicht auf der Seite der Faschisten, oder haben Sie etwa Zweifel daran? Die Lüge nur zu unterdrücken, statt sie zu bekämpfen, hilft ihr, zu überleben.

Was soll der Quatsch?

Hans Mentz a.D. @humorkritik verabschiedet sich von Twitter & Satire & dem ganzen Rest und fragt:
"#WikipeteRfragen, die Rheinische Universalfrage: Was soll der Quatsch? ... Im trumpisierten Twitterversum ist für mich kein Platz, mir bleibt nach dem Brexit das Lachen im Halse stecken und das europäische Haus, von dem vor ein paar Jahren noch fabuliert wurde, hat sich unangenehme Türsteher von SVP, FPÖ, FN, PIS, Fidesz, und ab September dann auch AfD eingeladen. Die Frage für die, die da bleiben: was kann denn da noch Satire?"
WikipeteR antwortet: Bevor wir die Frage beantworten können, was der Quatsch soll, was er konnte und was er noch kann, müssen wir uns erst einmal anschauen, was das überhaupt ist, dieser ominöse Quatsch. Und da können uns, wie immer in solchen Fällen, die Gebrüder Grimm mit ihrem Deutschen Wörterbuch ein gehöriges Stück weiterhelfen:
quatsch , ein ähnliches schallwort wie knatsch, matsch, patsch mit anlehnung an lautlich verwandtes. 1) interj. quatsch! da lag er in der pfütze u. dgl. 2) der quatsch. a) quatschender laut: wenn man nasse wäsche hinwirft, thut es einen quatsch u. dgl. Vilmar 308. b) breiartige quatschende, quappelige masse, straszenkoth u. dgl. (vgl.koth I, 9), nd. und md. Schambach 164a. Danneil 133a. Schmidt westerw. id. 153. Kehrein volksspr. in Nassau 1, 316. Albrecht Leipziger mundart 188a. Weinhold schles. wb. 74b; auch schwäb. quatsch, quätsch Schmid 418. c) unverständliches gerede, geschwätz Albrecht und Weinhold a. a. o. (vgl.quatschen 3): die erste zeit, o welche pein! fand in den quatsch (sprache der Franzosen) mich nicht hinein. Ditfurth volksl. VI. 109, 3. d) persönlich ein breitmauliger schwätzer Kehrein a. a. o., die quatsch, ein wolbeleibtes frauenzimmer Hennig preusz. wb. 213; bair. die quoutsch, person die im gehen wie eine ente wackelt Schm.2 1, 1398, s.quatschen 1 und quetschen 1, 2. 3) adjectiv, albern (s. 2, d) Albrecht a. a. o., närrisch, verdreht Fromm. 5, 160 (mundart in und um Fallersleben). (Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 13, Spalte 2333)
So gesehen können wir quasizirkabollemaßen jedes beliebige Phänomen in diesem Universum als Quatsch betrachten. Definieren wir Quatsch als stinkenden Straßenkot fallen die gesamten ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zumindest der Vergangenheit und der Gegenwart darunter, definieren wir Quatsch als unverständliches Geschwätz kommen auch noch sämtliche Äußerungen sowohl der Befürworter als auch der Gegner dieser Verhältnisse dazu. Ich will mich hier aber auf den Quatsch beschränken, den die Kritiker der herrschenden Verhältnisse veranstalten und von sich geben, insbesondere auf den uneigentlich gemeinten. Vor genau 50 Jahren sah es in der Welt auch nicht viel besser aus als heute. Der Vietnamkrieg wurde schon seit 12 Jahren von den USA geführt und ein Ende nicht absehbar. Lyndon B. Johnson war Präsident der USA, Ronald Reagan seit 11 Tagen Gouverneur von Kalifornien, LSD war gerade verboten worden. In der Bundesrepublik Deutschland regierte die erste Große Koalition unter dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger und bereitete die Notstandsgesetze vor. Gegen all das entwickelte sich in der gesamten westlichen Welt ein außerparlamentarischer Widerstand. In San Francisco veranstaltete man auf den Tag genau vor 50 Jahren, am 14. Januar 1967, gegen das Gemetzel in Vietnam und anderswo, gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und den ganzen etablierten Quatsch im Golden Gate Park ein Human Be-In genanntes Happening und proklamierte Love & Peace & Happiness als Gegenquatsch, äh, Gegenkultur. Michael Bowen, Allen Ginsberg, Gary Snyder, Dick Gregory, Lawrence Ferlinghetti, Jerry Rubin, Timothy Leary, Jefferson Airplane, Santana, The Steve Miller Band und Grateful Dead, alle kamen, predigten und spielten. Auf einer Pressekonferenz zuvor hatten die Organisatoren Haschischplätzchen an die Journalisten verteilt und angekündigt:
"Die politischen Aktivisten aus Berkeley und die Generation der Liebe aus Haight-Ashbury werden sich mit anderen Angehörigen der Neuen Nation zusammenschließen. Die Jugend wird sich beraten, gemeinsam feiern und das Zeitalter der Befreiung, der Liebe, des Friedens, des Mitgefühls und der Einheit der Menschen verkünden."
"Das Private ist politisch"
Unter dieser Parole setzten zwei Tage vor dem Human Be-In die Kommunarden der Kommune 1 in Westberlin ein Ausrufezeichen. Dieter Kunzelmann, Rainer Langhans, Ulrich Enzensberger, Fritz Teufel sowie Dagmar Seehuber und Dorothea Ridder besetzten eine Dachwohnung in der Niedstraße in Friedenau, die dem Schriftsteller Uwe Johnson gehörte, und richteten dort ihr Matratzenlager ein: Geburts- und Brutstätte der antiautoritären Bewegung mit gewaltiger Wirkung. Eine ganze Generation, meine Generation, wurde "politisiert", wie man das nannte. In der Kommune 1 war das Privateigentum abgeschafft, die Klotüren ausgehängt, mit dadaistischem Aktionstheater und gewaltverherrlichenden Flugblättern wurden der Staat und seine Autoritäten lächerlich gemacht. Dieter Kunzelmann, warf während einer Gedenkveranstaltung aus einem Sarg heraus Flugblätter in die Menge, Fritz Teufel trat mit Eisenkugel am Fuß und Büßerhemd eine Haftstrafe an, bei der Haftentlassung trug er einen Adventskranz auf dem Kopf, bei einer Verhandlung wurden Kothaufen vor dem Richtertisch gesetzt, vom Dach der Gedächtniskirche Mao-Bibeln in die Menge geworfen. Der größte Coup war das angebliche Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey im April 1967. Die Behörden reagierten mit Festnahmen und die Presse mit einer heute unvorstellbaren Hysterie - bis sich herausstellte, daß die Bomben mit Puddingpulver, Joghurt und Mehl gefüllte Tüten waren: Die Polizei war blamiert, die Kommune weltweit in den Zeitungen. Sehr grenzwertig war das Flugblatt Nr. 7 vom 24. Mai 1967 "Warum brennst du, Konsument?":
"Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh raus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, zweihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi. [...] Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht."
Auch der Schreiber dieser Zeilen wurde vom Treiben der Kommunarden angesteckt und inspiriert: Am Rande einer Demonstration gegen die Notstandsgesetze ließ er sich von Manni K. filmen, wie er unbeteiligte Passanten eng umtanzt und ihnen mit hoher Stimme "Ich bin verrückt, ich bin verrückt, ich bin verrückt ..." ins Ohr flötet. Als dann am 2. Juni 1967 bei den Protesten gegen den Schah-Besuch der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde, war es mit der Leichtigkeit der antiautoritären Bewegung vorbei. Die Kommune 1 wurde immer unpolitischer und zog in eine Fabriketage in den Wedding um, wo es fast nur noch um Sex und Drogen ging. Viele Rebellen, unter ihnen der Schreiber dieser Kolumne, radikalisierten sich und wanderten immer weiter nach links. Andere begannen mit dem geordneten Rückzug, den sie "Marsch durch die Institutionen" nannten, ein Teil der ehemaligen Spaßguerilla verzweifelte und landete bei der echten Stadtguerilla und bei den Terroristen der RAF. Und die Hippies in San Francisco? Enttäuscht davon, daß ihr Lebensstil und ihre Ideale so schnell vermarktet wurden, verließen einige der wichtigsten Protagonisten die Stadt. Schon im Oktober 1967 trug man die Flower-Power-Bewegung mit einem festlichen Umzug wieder symbolisch zu Grabe. Einen ganz kurzen Moment in der Geschichte, ein paar Monate nur, lieber Hans Mentz a.D., in den frühen Aktionen der Kommunarden, schien der Quatsch, den wir Satire nennen, etwas zu können, und die Antwort auf die Frage "Was soll der Quatsch?" hätte gelautet: "Er soll die Welt verändern." Aber ob die Macht aus den Gewehrläufen kommt, wie Mao Tse Tung behauptet, oder aus der Ökonomie, wie Karl Marx bei der Kapitalanalyse herausgefunden haben will, ist gleichgültig, die Satire kann gegen beide nicht anstinken und die schönste anarchisch-dadaistische Aktion auch nicht. Mit beidem kann man nur Schlaglichter auf die Wirklichkeit werfen und helfen, die Welt so zu erkennen, wie sie ist. Wenn uns unser durchkommerzialisiertes Leben und das andauernde Gemetzel allüberall den Blick nicht sowieso hoffnungslos verstellen. Vielleicht hilft es auch ein wenig, wenn wir versuchen, Poltik nicht allzu verbissen zu betreiben, sondern mit den Mitteln der Satire. Das könnte Satire auch heute noch, lieber Mentz. Oder doch nicht? Wer weiß?

Wann ist ein Buch ein Buch?

"Wann ist ein Buch ein Buch?" - das habe ich neulich (quasi rhetorisch, mit der Stimme vom Grönemeyer Herbert im Ohr) auf Twitter gefragt. Einige, unter ihnen Hannelore Peine aus Berlin, wollen mir keine Ruhe lassen und drängen auf Antwort:
"Buch hin, Buch her, oder doch nur Text? Könnte das #WikipeteRfragen nicht mal ausführlich für uns Unwissende, aber Lernbegierige aufarbeiten?"
WikipeteR antwortet: Was mir bei dem Rummel, der heutzutage um das Buch veranstaltet wird, langsam auf den Geist geht, ist die Begriffspanscherei: Alle wollen "ein Buch schreiben". Dabei schreibt niemand ein Buch. Man schreibt einen Roman, eine Erzählung, eine Kurzgeschichte, eine Novelle, einen Essay, eine Biographie, ein Gedicht, eine Dissertation oder irgendeinen anderen Sachtext, aber kein Buch. Das Buch ist bloß das Medium, in dem dieser Text veröffentlicht wird. Man könnte einen Roman genausogut auf einer Webseite veröffentlichen, auf einer Rolle Klopapier, von der die einzelnen Kapitel abzureißen wären, oder auf gegerbten Tierhäuten, ein Gedicht auf den Penis tätowieren, auf Baumscheiben brennen oder mit Hilfe von Spiritcarbonmatritzen hektographieren und von Hochhäusern in Straßenschluchten werfen, das Buch ist in den meisten Fällen nur die für die Leser bequemste Herausgabeform, das in fast beliebiger Auflage reproduziert werden und deshalb die weiteste Verbreitung erfahren kann. "mehrere blätter machen ein buch", erklären Jacob und Wilhelm Grimm im 2. Band, Spalte 467 ihres Deutschen Wörterbuches und führen das deutsche Wort "Buch" auf die Sitte unserer germanischen Vorfahren zurück, ihre Texte auf Tafeln, Bretter und Stäbe aus Buchenholz zu ritzen. Auch Griechen und Römer haben dünne Holztafeln beschrieben, übereinandergestapelt und mit Scharnieren aus Schnüren verbunden. Hauptsächlich haben sie aber Blätter aus Pergament oder Papyrus einseitig beschrieben, hintereinander zu langen Bahnen zusammengeklebt und gerollt aufbewahrt. Erst im ersten nachchristlichen Jahrhundert begann man, Bögen aus Pergament und Papyrus zu falten, in Lagen zu schichten, mit dem Falz an Buchrücken zu nähen und mit einem meist aus Holzdeckeln bestehenden Einband fest zu verbinden. Die Blätter konnten beidseitig beschrieben werden und ermöglichten so Materialersparnis.. Das Buch in der im Großen und Ganzen heute noch gebräuchlichen Form war geboren. Im vierten Jahrhundert hatte diese Kodex genannte Buchform die Schriftrolle fast vollständig verdrängt, im 11. Jahrhundert gelangte Papier als Schreibmaterial nach Europa und verdrängte Pergament und Papyrus. Mit der Erfindung des Buchdrucks mittels beweglicher Lettern aus Metall Mitte des 15. Jahrhunderts kam dann der endgültige Durchbruch des Buches als Massenmedium. Zwar kannte man in China schon Jahrhunderte vor Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern aus Ton - in Korea auch schon aus Metall -, die Verfahren erlaubten aber keine hohen Auflagen und wurden wenig genutzt. Heute, 560 Jahre nach Gutenbergs Erfindung regiert das Buch, obwohl bei seiner Herstellung inzwischen Offset- und Digitaldruck den Buchdruck mit auswechselbaren Lettern weitgehend abgelöst haben, weiter unser Bewußtsein, und zwar so sehr, daß wir sogar die papierlosen Veröffentlichungen in Dateiform, die wir mit Hilfe spezieller Anwendungen nur auf Bildschirmen lesen können, E-Books nennen, und alle, die an einem längeren Text sitzen, der zur Veröffentlichung bestimmt ist, "ein Buch schreiben". Die Botschaft und das Medium, in dem sie transportiert wird, werden in eins gesetzt und nicht mehr unterschieden. Wir reihen aber nach wie vor nicht einfach Zeichen zu Wörtern, Wörter zu Sätzen, Sätze zu Absätzen und Absätze zu Kapiteln aneinander und quetschen sie zu einem Buch zusammen, wir schreiben weiter sehr verschiedene Sorten von Texten, Romane, Erzählungen, Gedichte, Gebrauchsanweisungen, die in sehr verschiedenen Medien, Buch, Zeitung, Flyer, Webseite veröffentlich werden können, und nur in einem Fall schreiben wir tatsächlich ein Buch, dann nämlich, wenn wir ein Tagebuch führen. Aber das ist wiederum nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Diese Kolumne, an der ich gerade als WikipeteR schreibe, soll noch heute abend auf der Seite des Kreisverbandes Göttingen der Partei Die PARTEI veröffentlicht und in meinem Werkstatt-Blog archiviert werden. In naher Zukunft sollen alle Kolumnen gesammelt als gedrucktes Buch und auch als E-Book herausgegeben werden. Schreibe ich jetzt auch ein Buch oder bleiben es doch weiter Kolumnen? Na?