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Symbolbild

Günter, der Mann im Rollstuhl aus unserem Dorf, der mit einer Zaunlatte auf sein Raucherbein eindrosch: »Guck! Ich merke nichts! Ich merke nichts!«, kann heute als Symbolbild für unsere gesamte Gesellschaft genommen werden.

Die Mutter Gottes

Eine Peinlichkeit sondergleichen wäre es, die Muttergottes mit der Mutter Gottes zu verwechseln. Die ist bekanntlich eine geborene Edith Scharmentke und unübersehbar mit zwei üppig rosigen Fleischereiverkäuferinnen-Oberarmen ausgestattet.

1968

In den 1960er Jahren war die Welt noch in Ordnung. Tagsüber wurde demonstriert, abends saßen die Revolutionäre um den großen Tisch in der Küche und schlürften Molotowcocktails.

Wahrheit

Die Wahrheit, flüsterte das Streichholz, die Wahrheit findet ihr nur außerhalb der Wörter.
Die Wahrheit, flüsterte das Streichholz, die Wahrheit findet ihr nur außerhalb der Wörter.
Die Wahrheit, flüsterte das Streichholz, die Wahrheit findet ihr nur außerhalb der Wörter.

Absinth=Mond

Vor drei Monaten war es ihm zum ersten Mal aufgefallen. Der Mond spiegelt sich nur noch im Absinth. Jean-Jacques grübelte. Wie lange ging das schon so? Was war die Ursache? Gab es außer ihm noch andere Eingeweihte?

Herrgott zwo null (2)

Am Vormittag des 3. Juni 1998, dem 19. Todestag Arno Schmidts, gleichzeitig Tag des ICE-Unglücks von Eschede, kehrt Gott in Gestalt Arno Schmidts in den Heidegasthof ‹Zum Blauen Enzian› ein und zwingt den Anwesenden – der Wirt (im Jägermeister-T-Shirt), ein arbeitsloser Soziologe (im Netzunterhemd), vier angetrunkene Sargträger (in Schwarz) – ein Gespräch auf. In der Unterhaltung geht es um Hermann Löns, Arno Schmidt und Herrn Natürlich, um das Gemächt des Toten, um Beischlaf und Mißbrauch vor der Theke, auf der Kegelbahn und auf dem Billardtisch, um Valerie Solanas, Abe Sada, die Zeitschrift ‹Schwanz ab› und um Gott, der allwissend und „selbstverständlich Atheist“ sein will. Vor 35.000 Jahren werden die bahnbrechenden Werke ‹Poetologie des Nichts› und ‹Poetologie des Universums› an die Wände einer Höhle in den Pyrenäen gemalt, undeutbare Fragmente davon tauchen später im Bahnhof von Uelzen wieder auf. Ada Lovelace extrahiert aus einem Manuskript, in dem sich Gottfried Wilhelm Leibniz mit den Tri- und Hexagrammen des chinesischen Urkaisers beschäftigt, die Weltformel, die später von Arno Schmidt in einer Butterbrotdose aus der Staatsbibliothek geschmuggelt wird. Eine Freifrau von Undeloh schreibt eine ‹Geschichte der Menschheit von den Anfängen bis ins Jahr 2525›, die Zager & Evans zu ihrem Welthit inspiriert. Arno Schmidt und Charles Bukowski, die sich heimlich in einem Bordell in Uelzen getroffen haben, um zu saufen und über Nachkriegsprosa zu streiten, jagen nachts auf der Suche nach Spuren dieser Chronik im Taxi durch die Lüneburger Heide. Gott zeigt der Welt seinen erigierten Mittelfinger und verschwindet für die nächsten zweitausend Jahre. Leseprobe Nr. 2
Gott zeigte auf das Glas an der rechtwinkligen Spitze: „Ganz anders als bei Hegel oder Marx: Uelzen als Ziel der Weltgeschichte. Das wird sich Ihnen noch heute offenbaren, meine Herren, noch heute.“ Goldkettchen Bruns tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn: „Jetzt dreht er völlig durch. Bekloppt, ich sag es ja, total bekloppt.“ „Ausgerechnet Uelzen“, ließ sich Kriemelmeyer vernehmen, „was ist denn schon Uelzen? Zuckerrübentransporte und Butterschmalz, mehr nicht. Wo hat denn Rainer Zobel gespielt, als er bei Bayern aufgehört hat? Wieder bei seiner Germania? Nein, beim Lüneburger SK. Das sagt doch alles über diese Stadt.“ „In Ihren Augen vielleicht“, entgegnete Gott, „große Geister sehen das anders. Uelzen bildet die Spitze des magischen Dreiecks, die spüren das im Gegensatz zu Ihnen. So ist das. Weshalb, glauben Sie, haben sich Arno Schmidt und Charles Bukowski vor zwanzig Jahren wohl in Uelzen zu ihrem Geheimgespräch getroffen und nicht in New York, Paris oder Hannover? Warum wohl?“ „Ich glaube Ihnen kein Wort.“ Kriemelmeyer klang jetzt ein wenig verärgert: „Bukowski und Schmidt sollen sich getroffen haben? Und das auch noch in Uelzen? Sie wollen uns doch einen Bären aufbinden. Nein, nein, kein Wort.“ „Bukowski, wer ist das denn überhaupt?“, fragte Bernd Thieme: „Ist das der richtige Name von Charles Bronson? Soll ja ‘n Pole sein.“ „Das ist auch ein Dichter, Bernd“, antwortete ihm Kriemelmeyer, „ein amerikanischer aber, Fick- und Saufgeschichten, deine Kragenweite. Nee, nee, die beiden haben sich bestimmt nicht getroffen, und wenn, dann hätte das bestimmt in der Zeitung gestanden, im Stern oder im Spiegel oder hier in der Zeit.“. Kriemelmeyer klopfte mit der flachen Hand auf das Blatt. „Es war ein Geheimtreffen, Herr Meyer, die haben das nicht an die große Glocke gehängt, schon gar nicht bei dem Ausgang. Arno Schmidt hat dieses Treffen bis an sein Lebensende eisern verschwiegen, Bukowski hat in seinem Buch Ochsentour, in dem es um seine Europareise und seine Lesung am 18. Mai 1978 in Hamburg geht, zumindest etwas angedeutet. Unmittelbar nach der Lesung, schreibt er dort, sei er über eine ‚feuchte Hintertreppe‘ aus der Markthalle geführt worden, da habe dann ein ‚langer, schwarzer Wagen‘ gestanden, der ihn ‚ohne Worte und schnell zu einer besonderen Party für die Auserwählten‘ gefahren habe, wie er sich ausgedrückt hat. Ja, meine Herren, die Party war in einem Bordell in Uelzen und die Auserwählten, das waren Arno Schmidt, Charles Bukowski und sein Übersetzer Carl Weissner. Bukowskis Freundin mußte in Hamburg bleiben.“ „Ein Bordell in Uelzen? Das kann nur die Oase gewesen sein“, wollte Goldkettchen Bruns wissen. „Wenn die Geschichte überhaupt stimmt“, gab Kriemelmeyer zu bedenken. „Wie können Sie das bezweifeln, Herr Meyer?“ Gott wurde langsam ungehalten. „Aber es war nicht die Oase, es war die Stern-Bar. In die Oase hat sich Arno Schmidt nicht getraut.“ „Den Laden kenne ich!“ Bernd Thieme schnipste mit den Fingern wie ein Schüler, der unbedingt drankommen will: „Null Atmosphäre, als wärst du nicht im Puff, sondern in so’m alten Wartesaal dritter Klasse, bessere Bierzeltgarnitur zum Sitzen und die Animierdamen ziehen einen Flunsch, wenn du sie ansprichst.“ „Stimmt“, sagte Kriemelmeyer, „ich war auch mal da, einmal zum Striptease mit Dickie Dickens, das war mir aber zu ordinär, deshalb bin ich nach einem Auftritt auch gleich wieder weg. Wie die beiden das da ausgehalten haben sollen, das müssen Sie mir mal verraten. Das ist vielleicht Bukowskis Niveau, aber Schmidt? Nie im Leben!“ „Sie waren doch nicht zum Vögeln da, wo denken Sie hin?“, entgegnete Gott: „Sie wollten sich bloß ungestört über Literatur unterhalten, über andere herziehen und über das reden, was sie so machen, ohne gleich von irgendwelchen Feuilletonjournalisten aufgestöbert und mit dummen Fragen gelöchert zu werden, in aller Ruhe, verstehen Sie? Reich-Ranicki, Raddatz oder Karasek würden auf keinen Fall in der Stern-Bar auftauchen, da war sich Carl Weissner sicher.“ Bevor er weiterredete trank Gott erst einmal den Rest Mineralwasser aus dem Glas. Lasch und abgestanden. Pfui Deibel! „Sie trafen sich unten an der Bar. Weissner schleppte ein Kiste Müller-Thurgau mit hinein, Rauenberger Mannaberg, eine Lage aus ehemaligem weissnerschen Familienbesitz. Bukowski war auf den Geschmack gekommen und trank in Hamburg nichts anderes mehr. 150 Mark Korkgeld mußte Weissner dafür hinblättern. Arno Schmidt trank Branntwein ‚vom Billigsten, bitte‘, Marke Alte Kanzlei, und Cola mit drei Teelöffeln löslichem Kaffee pro Glas, damit er wach blieb. Weissner steckte Monique noch zweihundert Mark in den Ausschnitt, ‚für den Verdienstausfall‘, damit sie den beiden auch fernblieb, dann gingen Arno Schmidt und Charles Bukowski hoch auf ihr Zimmer, Weissner blieb an der Bar und langweilte sich.“ „Woher weißt du das alles so genau? Warst du etwa dabei? Als Freier? Und hast das alles zufällig mitgekriegt?“ Gott konnte sich kaum noch beherrschen: „Nein, das war ich nicht. Wie oft soll ich Ihnen das denn noch erklären, bis Sie es endlich begreifen? Deppen! Ich weiß das, weil ich alles weiß. Ah! El! El! E! Es! ALLES! Wenn Sie das interessiert: Ich weiß auch, wie oft jeder von Ihnen heute schon gefurzt hat und wie oft er morgen furzen wird.“
‹Herrgott zwo null. Ein haidnisches Symposion› ist die überarbeitete und zu einem Kurzroman erweiterte Fassung der Erzählung ‹Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg› und erscheint am 18. Januar 2019 unter der ISBN 978-3-7481-6014-4.

Herrgott zwo null (1)

Am Vormittag des 3. Juni 1998, dem 19. Todestag Arno Schmidts, gleichzeitig Tag des ICE-Unglücks von Eschede, kehrt Gott in Gestalt Arno Schmidts in den Heidegasthof ‹Zum Blauen Enzian› ein und zwingt den Anwesenden – der Wirt (im Jägermeister-T-Shirt), ein arbeitsloser Soziologe (im Netzunterhemd), vier angetrunkene Sargträger (in Schwarz) – ein Gespräch auf. In der Unterhaltung geht es um Hermann Löns, Arno Schmidt und Herrn Natürlich, um das Gemächt des Toten, um Beischlaf und Mißbrauch vor der Theke, auf der Kegelbahn und auf dem Billardtisch, um Valerie Solanas, Abe Sada, die Zeitschrift ‹Schwanz ab› und um Gott, der allwissend und „selbstverständlich Atheist“ sein will. Vor 35.000 Jahren werden die bahnbrechenden Werke ‹Poetologie des Nichts› und ‹Poetologie des Universums› an die Wände einer Höhle in den Pyrenäen gemalt, undeutbare Fragmente davon tauchen später im Bahnhof von Uelzen wieder auf. Ada Lovelace extrahiert aus einem Manuskript, in dem sich Gottfried Wilhelm Leibniz mit den Tri- und Hexagrammen des chinesischen Urkaisers beschäftigt, die Weltformel, die später von Arno Schmidt in einer Butterbrotdose aus der Staatsbibliothek geschmuggelt wird. Eine Freifrau von Undeloh schreibt eine ‹Geschichte der Menschheit von den Anfängen bis ins Jahr 2525›, die Zager & Evans zu ihrem Welthit inspiriert. Arno Schmidt und Charles Bukowski, die sich heimlich in einem Bordell in Uelzen getroffen haben, um zu saufen und über Nachkriegsprosa zu streiten, jagen nachts auf der Suche nach Spuren dieser Chronik im Taxi durch die Lüneburger Heide. Gott zeigt der Welt seinen erigierten Mittelfinger und verschwindet für die nächsten zweitausend Jahre. Leseprobe Nr. 1
Weil die ungläubige Verwirrung durch seine Erklärungsversuche noch zugenommen hatte, setzte Gott nach: „Wahrnehmen kann ich das nur, weil eben alles ‚gleichzeitig‘ ‚da‘ ist. IST, meine Herren, Wirklichkeitsform, nicht Möglichkeitsform, gleichzeitig, meine Herren, alles gleichzeitig! Seit Anbeginn bin ich gleichzeitig im Universum und das Universum ist in mir, richtiger, ich bin eine Metapher für das Universum und das Universum ist eine Metapher für mich. Verstanden?“ „Ist das so ein Kōan?“ Kriemelmeyer zeigte wieder sein Strebergesicht. Alle anderen schauten verwirrt an Gott vorbei. „Metaxa haben wir auch nicht“, antwortete der Enzianwirt nach einer Weile. „Danach habe ich auch nicht gefragt. Aber“, setzte Gott nach, „Metaxa ist auch gut. Manchmal schlägt Metaxa jede Metapher und erfüllt die Synapsen mit warmer Zuversicht. Übrigens haben Sie trotzdem welchen, 70 Jahre alten, im Barfach in Ihrem Wohnzimmerschrank. Privat und allein trinken Sie so etwas Gutes schon, nur Ihren Gästen gönnen Sie es nicht.“ „Ja, äh, stimmt, total vergessen, woher ...?“ „Ich weiß es eben, wie ich auch alles andere weiß. Daran sollten Sie sich langsam gewöhnt haben. Nun holen Sie ihn schon. Wir benehmen uns hier auch, bis Sie wieder zurück sind. Wir trinken dann diesen edlen Tropfen zu Ehren Arno Schmidts: neunzehnter Todestag heute.“ 42 % stand auf der Flasche, die Horst, der Enzianwirt, schließlich anschleppte. „Zweiundvierzig“, Gott schnalzte mit der Zunge, „so viele Umdrehungen, wie das Universum Dimensionen hat. Das ist ein gutes Vorzeichen.“
‹Herrgott zwo null› (Arbeitstitel) wird als überarbeitete und zu einem Kurzroman erweiterte Fassung der Erzählung ‹Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg› am Nikolaustag fertig geschrieben sein und irgendwann im neuen Jahr in kleiner limitierter Auflage herauskommen. Wer sich jetzt schon ein Exemplar sichern möchte: Mail an herrgott(AT)irrationale(DOT)net

Grauschach

Das ewige Schwarz-Weiß-Denken im Schach aufzuheben, spielten der Philosoph und sein Diener nur mit grau angestrichenen Figuren auf einem ebensolchen Spielfeld ohne eingezeichnete Quadrate gegeneinander. Nirgendwo sonst auf der Welt genössen die Bauern eine solche Freiheit, sich nach Belieben dem einen oder anderen Heere anzuschließen.