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Was soll der Quatsch?

Hans Mentz a.D. @humorkritik verabschiedet sich von Twitter & Satire & dem ganzen Rest und fragt:
"#WikipeteRfragen, die Rheinische Universalfrage: Was soll der Quatsch? ... Im trumpisierten Twitterversum ist für mich kein Platz, mir bleibt nach dem Brexit das Lachen im Halse stecken und das europäische Haus, von dem vor ein paar Jahren noch fabuliert wurde, hat sich unangenehme Türsteher von SVP, FPÖ, FN, PIS, Fidesz, und ab September dann auch AfD eingeladen. Die Frage für die, die da bleiben: was kann denn da noch Satire?"
WikipeteR antwortet: Bevor wir die Frage beantworten können, was der Quatsch soll, was er konnte und was er noch kann, müssen wir uns erst einmal anschauen, was das überhaupt ist, dieser ominöse Quatsch. Und da können uns, wie immer in solchen Fällen, die Gebrüder Grimm mit ihrem Deutschen Wörterbuch ein gehöriges Stück weiterhelfen:
quatsch , ein ähnliches schallwort wie knatsch, matsch, patsch mit anlehnung an lautlich verwandtes. 1) interj. quatsch! da lag er in der pfütze u. dgl. 2) der quatsch. a) quatschender laut: wenn man nasse wäsche hinwirft, thut es einen quatsch u. dgl. Vilmar 308. b) breiartige quatschende, quappelige masse, straszenkoth u. dgl. (vgl.koth I, 9), nd. und md. Schambach 164a. Danneil 133a. Schmidt westerw. id. 153. Kehrein volksspr. in Nassau 1, 316. Albrecht Leipziger mundart 188a. Weinhold schles. wb. 74b; auch schwäb. quatsch, quätsch Schmid 418. c) unverständliches gerede, geschwätz Albrecht und Weinhold a. a. o. (vgl.quatschen 3): die erste zeit, o welche pein! fand in den quatsch (sprache der Franzosen) mich nicht hinein. Ditfurth volksl. VI. 109, 3. d) persönlich ein breitmauliger schwätzer Kehrein a. a. o., die quatsch, ein wolbeleibtes frauenzimmer Hennig preusz. wb. 213; bair. die quoutsch, person die im gehen wie eine ente wackelt Schm.2 1, 1398, s.quatschen 1 und quetschen 1, 2. 3) adjectiv, albern (s. 2, d) Albrecht a. a. o., närrisch, verdreht Fromm. 5, 160 (mundart in und um Fallersleben). (Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Band 13, Spalte 2333)
So gesehen können wir quasizirkabollemaßen jedes beliebige Phänomen in diesem Universum als Quatsch betrachten. Definieren wir Quatsch als stinkenden Straßenkot fallen die gesamten ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse zumindest der Vergangenheit und der Gegenwart darunter, definieren wir Quatsch als unverständliches Geschwätz kommen auch noch sämtliche Äußerungen sowohl der Befürworter als auch der Gegner dieser Verhältnisse dazu. Ich will mich hier aber auf den Quatsch beschränken, den die Kritiker der herrschenden Verhältnisse veranstalten und von sich geben, insbesondere auf den uneigentlich gemeinten. Vor genau 50 Jahren sah es in der Welt auch nicht viel besser aus als heute. Der Vietnamkrieg wurde schon seit 12 Jahren von den USA geführt und ein Ende nicht absehbar. Lyndon B. Johnson war Präsident der USA, Ronald Reagan seit 11 Tagen Gouverneur von Kalifornien, LSD war gerade verboten worden. In der Bundesrepublik Deutschland regierte die erste Große Koalition unter dem ehemaligen NSDAP-Mitglied Kurt Georg Kiesinger und bereitete die Notstandsgesetze vor. Gegen all das entwickelte sich in der gesamten westlichen Welt ein außerparlamentarischer Widerstand. In San Francisco veranstaltete man auf den Tag genau vor 50 Jahren, am 14. Januar 1967, gegen das Gemetzel in Vietnam und anderswo, gegen Unterdrückung, Ungerechtigkeit und den ganzen etablierten Quatsch im Golden Gate Park ein Human Be-In genanntes Happening und proklamierte Love & Peace & Happiness als Gegenquatsch, äh, Gegenkultur. Michael Bowen, Allen Ginsberg, Gary Snyder, Dick Gregory, Lawrence Ferlinghetti, Jerry Rubin, Timothy Leary, Jefferson Airplane, Santana, The Steve Miller Band und Grateful Dead, alle kamen, predigten und spielten. Auf einer Pressekonferenz zuvor hatten die Organisatoren Haschischplätzchen an die Journalisten verteilt und angekündigt:
"Die politischen Aktivisten aus Berkeley und die Generation der Liebe aus Haight-Ashbury werden sich mit anderen Angehörigen der Neuen Nation zusammenschließen. Die Jugend wird sich beraten, gemeinsam feiern und das Zeitalter der Befreiung, der Liebe, des Friedens, des Mitgefühls und der Einheit der Menschen verkünden."
"Das Private ist politisch"
Unter dieser Parole setzten zwei Tage vor dem Human Be-In die Kommunarden der Kommune 1 in Westberlin ein Ausrufezeichen. Dieter Kunzelmann, Rainer Langhans, Ulrich Enzensberger, Fritz Teufel sowie Dagmar Seehuber und Dorothea Ridder besetzten eine Dachwohnung in der Niedstraße in Friedenau, die dem Schriftsteller Uwe Johnson gehörte, und richteten dort ihr Matratzenlager ein: Geburts- und Brutstätte der antiautoritären Bewegung mit gewaltiger Wirkung. Eine ganze Generation, meine Generation, wurde "politisiert", wie man das nannte. In der Kommune 1 war das Privateigentum abgeschafft, die Klotüren ausgehängt, mit dadaistischem Aktionstheater und gewaltverherrlichenden Flugblättern wurden der Staat und seine Autoritäten lächerlich gemacht. Dieter Kunzelmann, warf während einer Gedenkveranstaltung aus einem Sarg heraus Flugblätter in die Menge, Fritz Teufel trat mit Eisenkugel am Fuß und Büßerhemd eine Haftstrafe an, bei der Haftentlassung trug er einen Adventskranz auf dem Kopf, bei einer Verhandlung wurden Kothaufen vor dem Richtertisch gesetzt, vom Dach der Gedächtniskirche Mao-Bibeln in die Menge geworfen. Der größte Coup war das angebliche Attentat auf den US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey im April 1967. Die Behörden reagierten mit Festnahmen und die Presse mit einer heute unvorstellbaren Hysterie - bis sich herausstellte, daß die Bomben mit Puddingpulver, Joghurt und Mehl gefüllte Tüten waren: Die Polizei war blamiert, die Kommune weltweit in den Zeitungen. Sehr grenzwertig war das Flugblatt Nr. 7 vom 24. Mai 1967 "Warum brennst du, Konsument?":
"Unsere belgischen Freunde haben endlich den Dreh raus, die Bevölkerung am lustigen Treiben in Vietnam zu beteiligen: sie zünden ein Kaufhaus an, zweihundert saturierte Bürger beenden ihr aufregendes Leben, und Brüssel wird Hanoi. [...] Wenn es irgendwo brennt in der nächsten Zeit, wenn irgendwo eine Kaserne in die Luft geht, wenn irgendwo in einem Stadion die Tribüne einstürzt, seid bitte nicht überrascht."
Auch der Schreiber dieser Zeilen wurde vom Treiben der Kommunarden angesteckt und inspiriert: Am Rande einer Demonstration gegen die Notstandsgesetze ließ er sich von Manni K. filmen, wie er unbeteiligte Passanten eng umtanzt und ihnen mit hoher Stimme "Ich bin verrückt, ich bin verrückt, ich bin verrückt ..." ins Ohr flötet. Als dann am 2. Juni 1967 bei den Protesten gegen den Schah-Besuch der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen wurde, war es mit der Leichtigkeit der antiautoritären Bewegung vorbei. Die Kommune 1 wurde immer unpolitischer und zog in eine Fabriketage in den Wedding um, wo es fast nur noch um Sex und Drogen ging. Viele Rebellen, unter ihnen der Schreiber dieser Kolumne, radikalisierten sich und wanderten immer weiter nach links. Andere begannen mit dem geordneten Rückzug, den sie "Marsch durch die Institutionen" nannten, ein Teil der ehemaligen Spaßguerilla verzweifelte und landete bei der echten Stadtguerilla und bei den Terroristen der RAF. Und die Hippies in San Francisco? Enttäuscht davon, daß ihr Lebensstil und ihre Ideale so schnell vermarktet wurden, verließen einige der wichtigsten Protagonisten die Stadt. Schon im Oktober 1967 trug man die Flower-Power-Bewegung mit einem festlichen Umzug wieder symbolisch zu Grabe. Einen ganz kurzen Moment in der Geschichte, ein paar Monate nur, lieber Hans Mentz a.D., in den frühen Aktionen der Kommunarden, schien der Quatsch, den wir Satire nennen, etwas zu können, und die Antwort auf die Frage "Was soll der Quatsch?" hätte gelautet: "Er soll die Welt verändern." Aber ob die Macht aus den Gewehrläufen kommt, wie Mao Tse Tung behauptet, oder aus der Ökonomie, wie Karl Marx bei der Kapitalanalyse herausgefunden haben will, ist gleichgültig, die Satire kann gegen beide nicht anstinken und die schönste anarchisch-dadaistische Aktion auch nicht. Mit beidem kann man nur Schlaglichter auf die Wirklichkeit werfen und helfen, die Welt so zu erkennen, wie sie ist. Wenn uns unser durchkommerzialisiertes Leben und das andauernde Gemetzel allüberall den Blick nicht sowieso hoffnungslos verstellen. Vielleicht hilft es auch ein wenig, wenn wir versuchen, Poltik nicht allzu verbissen zu betreiben, sondern mit den Mitteln der Satire. Das könnte Satire auch heute noch, lieber Mentz. Oder doch nicht? Wer weiß?

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eallnuss am :

starker quatsch!

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