Skip to content

Barthes, Kommunikationsguerilla und PARTEI

fflepp @andyamholst fragt:
("Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?" Barthes)
WikipeteR antwortet: Ja, ja, ja und abermals: JA! Ein überaus gelungenes Beispiel einer solchen Kommunikationsguerilla gibt die Partei Die PARTEI, der politische Arm der Titanic, der 2004 - gute Güte, 12 Jahre ist das auch schon wieder her - aus dem geschützten Raum (und Käfig - jawohl!) einer Satirezeitschrift befreit und in den politischen Alltag geworfen wurde. Und die PARTEI lebt immer noch. Pfeilgrad deshalb, weil sie eben nicht darauf aus war, als Anti-Partei zu wirken und die Codes zu zerstören, sondern als uneigentliche Partei diese zu entstellen. Wenn Materie auf Antimaterie trifft, Physiker wissen es, Science-Fiction-Leser und Verschwörungstheoretiker noch besser, vergehen beide ins Nichts. Bei diesem Akt der Zerstörung wird ungeheure Energie freigesetzt. Treffen Parteien und Antiparteien aufeinander, ist es ebenso. Nur, daß man mit der dabei freigesetzten Energie noch nicht einmal einen Akku aufladen kann. Die Geschichte zeigt es. Die beiden großen Konzepte des vergangenen 20. Jahrhunderts für Antiparteien und Antipolitik, Lenins "Was tun?" von 1905 und Hitlers "Mein Kampf" von 1925, haben außer Zerstörung nichts bewirkt, die gesellschaftlichen Veränderungen, die ursprünglich damit beabsichtigt waren, dabei noch nicht einmal im Ansatz hergestellt. Alle Versuche von rechts wie auch von links, diese zerstörerischen Anti-Konzepte in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts wiederzubeleben, können wir unter dem Gesichtspunkt, daß nach Hegel "alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen", nach Marx "das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce", getrost belachen, so gefährlich sie uns auch aktuell erschienen sind oder noch erscheinen. Wenn ich recht informiert bin, hat Roland Barthes seine Frage - "Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?" - schon 1957 gestellt, sie war aber nicht auf politisches Handeln außerhalb, sondern auf die Schreibweise (écriture) von Literatur als eine dritte Dimension künstlerischer Form zwischen Sprache und Stil gemünzt. Sprache sei nicht als Transportmittel bestimmter Botschaften zu verstehen, sondern Bühne für das Spiel der Wörter. Subversion sei die Arbeit des Verschiebens, über die Austausch und Verschmelzen von Poesie und Kritik möglich seien. Die Kommunikationsguerilla - von den Spontigruppen der 1970er und 1980er Jahre über Hackerkultur und Diskordianismus bis hin zum Zentrum für politische Schönheit heute - überträgt nun die Tätigkeit des Verschiebens und Entstellens der Codes aus den engen Grenzen der Literatur in vielfältige Formen des politischen Aktivismus und erweitert ihr Werkzeug, das uneigentliche Sprechen, um das uneigentliche Handeln. Instrumente des uneigentlichen Sprechens sind die schon aus der Antike bekannten rhetorischen Tropen wie etwa Hyperbel, Ironie, Litotes, Metonymie, Synekdoche oder Katachrese, Interessierte mögen googeln oder sich besser ein Lehrbuch in der nächstgelegenen Universitätsbibliothek ausleihen, Instrumente des uneigentlichen Handelns sind etwa Camouflage, Collage, Montage, Erfindung falscher Tatsachen zur Schaffung wahrer Ereignisse, Faken, subversive Affirmation, Überidentifizierung oder Verfremdung. Auf Facebook, Twitter und anderswo gibt es immer wieder die Forderung, uneigentliches Sprechen als solches zu kennzeichnen, beispielsweise durch spezielle Ironietags oder ein nachgeschobenes "Nicht". Aber dann wäre es kein uneigentliches Sprechen mehr, sondern Klartext und verlöre seine subversive Wirkung. Vielleicht ist es aber der Zweck solcher Forderungen, pfeilgrad diese Subversion zu verhindern, die durch die Unbestimmtheit und den daraus resultierenden Zwang zum Denken hervorgerufen wird. Die Meister dieses Fachs, Andy Kaufman, M.A. Numminen und auch Helge Schneider, haben ihr öffentliches Reden und Handeln aus gutem Grund nie als uneigentlich gekennzeichnet. Das unterscheidet sie von den Komikern und Witzeerzählern wie Mario Barth oder Atze Schröder. Auch die Partei Die PARTEI sollte die Hände von jeglicher Kennzeichnung als Satire lassen und weder als eigentliche Partei noch als Anti-Partei noch als Alternative für den Wutbürger handeln, sondern stets als uneigentliche PARTEI größtmögliche subversive Wirkung entfalten. Dann und nur dann kann sie vielleicht einmal einen ähnlichen Erfolg feiern wie Jón Gnarr mit seiner "Besti flokkurinn" (Die beste Partei) in Island, der es mit der Parole "Alles ist machbar!", Forderungen wie kostenlose Handtuchnutzung in Schwimmbädern und Kommunikationsguerilla-Aktionen zum Bürgermeister von Reykjavík gebracht hat.

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

fflepp am :

***Dank für die hochwertige Antwort zu dieser Frage. Handlungsmuster, Sprechweisen und Kommunikationsformen erscheinen ja im All­ge­mei­nen immer noch als quasi naturgegeben. Inzwischen wird zwar die Ãsthetik der Kommunikationsguerilla auch in der Werbung zur Vermarktung von Produkten verwendet, wo sie aber weder Irritationen noch Unbehagen erzeugt, weshalb sie vom Original auch leicht zu unterscheiden ist. Ich halts da auch gerne mit Schwitters' "Banalitäten aus dem Chinesischen" Fliegen haben kurze Beine. Eile ist des Witzes Weile. […] http://members.peak.org/~dadaist/English/TextOnly/banalitaeten.html oder ["Euch die Macht, uns die Nacht"]

Hans Mentz am :

Den zitierten Schwitters paraphrasierend füge ich hinzu: Eigentlich ist alles, was man uneigentlich nennt nicht uneigentlich. Und nicht alles, was Unbehagen erzeugt, ist subversiv. Gerade die als Zentrum für Politische Schönheit firmierende professionelle Laienspielstruppe testet mehr unwillentlich als willentlich das Unbehagen aus, und erzeugt frei nach Freund Freud Unlust, Leid und Unglück bei so manchen Rezipienten, die ganz un-eigtliche Addressaten werden. Ähnliches gilt, Globlob in vermindertem Maße, auch für manche Äußerung, die der PARTEI zugeschrieben werden kann. Interessanterweise erinnere ich persönlich von solchen Äußerungen nur das Unbehagen, nicht jedoch Kontext und Inhalt. Das schwächt selbstverständlich mein Argument deutlich. Aber der geneigte Leser und die wohlgesinnte Leserin werden sich vielleicht besser erinnern als ich. Nun, wahrscheinlich nicht, aber eventuell ähnlich gut. Nun, ich vertrete die grundsätzliche These, das Kommunikation nicht stattfindet. Post-postmoderne Menschen haben auch den kleinen Krieg schon lange verloren. Es bleibt ihnen nur, den kleinen Tod zu suchen. Wenn Satire jedoch zur medialen Onanie geworden ist, ja nicht mehr als das sein kann - was tun wir dann hier? Und warum?

Kommentar schreiben

Formular-Optionen