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Frieda

Frieda Jedamski, Meyer-Jedamski, nachdem sie den Großbauern und Dorfschullehrer im grünen Loden geheiratet hatte, Latein und Religion, im Nachhinein eine der angenehmsten Erscheinungen an der ASS, diskutierte mit uns im Religionsunterricht alles, was uns oder ihr diskussionswürdig erschien, offen, ohne auf ein von ihr gewünschtes Ergebnis hinzusteuern, daß junge Frauen mit jungen Männern nächtelang diskutieren könnten und dabei, ohne "Frosch oder Eule" zu sein, nicht im Bett zu landen, mochten wir ihr dann doch nicht abnehmen. Sie holte Mormonen in den Religionsunterricht und den Gammler, der einige Wochenam Springbrunnen am Wall lebte, von den Hindenburgschülerinnen umsorgt und später vor unseren Augen von einem ehemaligen Fremdenlegionär* zusammengetreten wurde. Die Mormonen durften uns in einer Doppelstunde ihre Religion und der Gammler seine Lebensphilosophie ausführlich darlegen, wir konnten mit beiden nach Herzenslust diskutieren, das gefiel uns. Als allerdings alle vier Atheisten in der Klasse, zugegeben, wir trugen den Unterricht meist alleine, mit Einsern mit Zeugnis belohnt wurden, während die stillen Frommen höchstens "befriedigend" bekamen, fanden wir das auch nicht richtig und meldeten uns Atheisten geschlossen vom Religionsunterricht ab.
Springbrunnen am Wall
An diesem Springbrunnen am Wall verbrachte der zugereiste Gammler seine Tage und wurde von einem ehemaligen Fremdenlegionär zusammengetreten.
* Dieser Fremdenlegionär ist mir in den 80ern noch einmal begegnet, als ich mit meinem Schwiegervater für seinen An- und Verkauf unterwegs war, im Auftrag des Sozialamts einen Tisch liefern nach "Zickzackhausen" an der Ziegelkampstraße, die letzte Adresse, die man in Nienburg an der Weser hatte, bevor man auf der Straße lag, da lag er sturzbetrunken auf seinem Bett in der Einraum-Schlichtwohnung und konnte nur noch lallen.

Ein Nazi-Studienrat

Der Lehrer, dessen Eintrag und Unterschrift mein Bruder (später studierte er Kommunikationsdesign und arbeitete in Agenturen) perfekt fälschte, war Studienrat Osteneck, Mathematik und Sport, der einzige aus dem Kollegium, der explizit nationalsozialistische Positionen vertrat, und Schüler, die den Felgaufschwung nicht schaffen wollten, schon einmal die "Zauberschnur" (= Tauende) schmecken ließ. 1965. Erster Samstag nach den Sommerferien. Dr. Schaller war krank und Osteneck mußte ihn in Deutsch vertreten, eine Gelegenheit, die er nutzte, die gesamte Gegenwartsliteratur als unterhalb der Gürtellinie angesiedelten "Schmutz" niederzumachen und sich dabei noch in einer Linie mit Bundeskanzler Ludwig Erhard zu wissen:
"Wir wollen darauf verzichten, in unserem Wahlkampf die Blechtrommel zu rühren ... Ich kann die unappetitlichen Entartungserscheinungen der modernen Kunst nicht mehr ertragen. Da geht mir der Hut hoch."
(Bundeskanzler Ludwig Erhard auf dem Landesparteitag der baden-württembergischen CDU am 29. Mai 1965 in Ravensburg)
"Nein, so haben wir nicht gewettet. Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinscher an."
(Bundeskanzler Ludwig Erhard vor dem Wirtschaftstag der CDU/CSU in Düsseldorf am 9. Juli 1965)
"Ich muß diese Dichter nennen, was sie sind: Banausen und Nichtskönner, die über Dinge reden, von denen sie einfach nichts verstehen ... Es gibt einen gewissen Intellektualismus, der in Idiotie umschlägt."
(Bundeskanzler Ludwig Erhard am 11. Juli 1965 im Kölner Gürzenich vor der 11. Bundestagung der Sozialausschüsse der Christlich-Demokratischen Arbeiterschaft)
"Günter Grass ist ein Schwein."
(Studienrat Osteneck 1965) Aber sowohl die Schmähungen des Bundeskanzlers als auch die Schimpftiraden Ostenecks erreichten bei uns genau das Gegenteil, schlimmer noch, Ostenecks Schilderungen der Onanierszenen aus ´"Katz und Maus" und der Brausepulverszene aus der "Blechtrommel" weckten unsere Neugier so, daß wir sofort nach Schulschluß loszogen, uns diese Werke im Buchhandel zu besorgen, und Günter Grass bei mir für Jahrzehnte positiv besetzt war. Erste Stunde. Mathematik. Osteneck saß direkt vor meiner Nase mit dem Rücken zu mir auf meinem Tisch, ein Zeigestock in seiner Hand, mit dem er hin und wieder in Richtung Tafelbild wedelte, und erklärte irgendwelche Graphen, ein Stück Kreide flog in seine Richtung, ich fing es auf, ehe es ihn treffen konnte, ging meinem Impuls nach und malte ihm vorsichtig ein Hakenkreuz hinten auf sein Sakko, Pfeffer und Salz, seiner Gesinnung entsprechend in Brauntönen. Zu meinem Glück merkte er nichts und hatte das Hakenkreuz auch noch auf dem Rücken, als er nach der sechsten Stunde die Schule verließ. Niemand im Kollegium hatte ihn darauf aufmerksam gemacht.