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MAD, pardon, Titanic - Satirelandchaft

Canis vulgaris teledictus (Gemeiner Meldehund) @rm_marchy aus Stuttgart fragt:
"... und seit wann gab es MAD? #unvergesslich #Spion&Spion"
WikipeteR antwortet: 1952 war's, der Koreakrieg noch in vollem Gange, als der Horror-Comic-Verleger William Gaines seine Zeichner Albert Feldstein und Harvey Kurtzman beauftragte, ein Comic-Heft zu entwickeln, das über den Humor von tranigen Teenie-Abenteuern und Geschichten mit tollpatschigen Anti-Helden hinausging. "Tales calculated to drive you MAD" wurde konzipiert - ein Comic, der andere Comics parodierte. Im ersten (August 1952) und im zweiten Heft waren das noch die Gruselgeschichten aus dem eigenen Verlag, ab der dritten Ausgabe mußten schon andere Comics für eine Parodie herhalten, etwa "Starchie" und "Poopeye". Mit "Superduperman" in Heft Nr. 4, der statt des "S" Werbeslogans auf seiner stählernen Brust trug, kam dann der Durchbruch für MAD. Der Anfangserfolg von MAD ermunterte Gaines, einen zweiten, etwas schärferen Satirecomic herauszugeben. Im Dezember 1953 erschien die erste Ausgabe von PANIC. Das Heft enthielt neben den Parodien "My Gun is the Jury", "This is Your Strife" und "Little Red Riding Hood" die von Will Elder gezeichnete 8-Seiten-Sory "The Night Before Christmas" nach Clement Clarke Moores Gedicht "A Visit From Saint Nicholas", in der Kinder zu Weihnachten von Marilyn Monroe träumen, während ihre Eltern sich in die Bewußtlosigkeit zechen. Empörte Presseberichte, Polizeidurchsuchung der Redaktion, Verhaftung eines Mitarbeiters wegen "Verkaufs schmutziger Literatur", etliche Gerichtsverhandlungen und schließlich die Gründung der Comic Code Authority, einer Art freiwilliger Selbstkontrolle der Comic-Verleger waren die Folge. William Gaines kapitulierte angesichts des wachsenden Widerstands in der Öffentlichkeit und nahm im September 1954 sämtliche Horror- und Krimi-Titel aus dem Programm. MAD dagegen konnte den Erfolg noch steigern. Und bis auf die Ausgabe Nr. 20, die wie ein Schulheft aufgemacht war und deshalb einige Lehrer verärgerte, zog das Magazin auch nicht den Volkszorn auf sich. Mit Nr. 24 vom Juli 1955 erschien MAD schwarzweiß, in neuem Format, auf neuem, allerdings immer noch minderwertigem Papier und für 25 statt vorher 10 Cent. Kurtzman und seine Mitarbeiter parodierten jetzt nicht mehr nur Comics, sondern auch Zeitungen, Werbung und Filme. MAD selbst veröffentlichte keine Anzeigen und konnte daher mit Anzeigen-Parodien - Zigaretten, Alkohol, Nahrungsmittel, Autos - glaubwürdig die haltlosen Verheißungen der Werbeindustrie geißeln. Da MAD nun ein Magazin war, mußten sich die Macher auch nicht mehr an die Richtlinien der Comic Code Authority halten. Gleich das erste neue Heft fand reißenden Absatz und mußte sogar nachgedruckt werden. Kurtzman verließ den Verlag, Al Feldstein wurde Chefredakteur. MAD wurde politischer, ohne Partei zu ergreifen: Demokraten wie Republikaner wurden gleichermaßen verulkt. In 50er und 60er Jahren, einer Zeit des Kalten Krieges, der kollektiven Paranoia und der Zensur, füllte MAD die Lücke der politischen Satire. Ab Mitte der 1960er Jahre wandelte sich das gesellschaftliche Klima. Vietnam-Krieg, Hippies und Drogen tauchten als Themen in MAD auf, Rubriken wie "Der Schatten bringt es an den Tag", "Was man so sagt ... und was es wirklich bedeutet" oder "Wenn in der Film-Reklame die Wahrheit gesagt werden müßte" vermittelten Teenagern lauter kleine Crashkurse in Sprach- und Ideologiekritik und machten gleichermaßen skeptisch gegen Autoritäten, Trends und Bewegungen, Redaktion und Leserschaft wurden aber weiter als Haufen von schwachsinnigen Verlierern unter dem Banner des Oberidioten Alfred E. Neuman stilisiert - dieser Kurs bescherte dem Blatt Anfang bis Mitte der 70er Jahre eine Auflage von fast drei Millionen Exemplaren allein in den USA gegenüber 325.000 im Jahr 1956 und wurde von Feldstein mit Zeichnern wie Bob Clarke, Paul Coker, Don Martin, Dave Berg und George Woodbridge bis 1984 durchgehalten. MAD wurde international. 1959 kam das Magazin nach Großbritannien, 1960 nach Schweden, 1964 in die Niederlande. In Deutschland mußte sich die lachlustige Jugend noch sehr lange mit Micky Maus und dem reaktionären Fix und Foxi begnügen: Erst im September 1967 wurde die deutsche Ausgabe von MAD gestartet. Für mich war das nichts mehr, fand ich damals. Für meinen zwei Jahre jüngeren Bruder und seine Freunde, die gern auch mal Sackgassenschilder abmontierten und nachts an die Kirchentür nagelten, vielleicht, aber nicht für mich. Meine Freunde und ich, wir zählten uns selbstverständlich zur APO und lasen die pardon, die seit August 1962 die verödete Nachkriegssatirelandschaft, in der es außer einer Handvoll Kabarettbühnen kaum etwas zu belachen gab, belebte. Politisch korrekt in unserem Sinne war sie überdies, Satire-Aktionen gegen den Springer-Konzern und gegen Franz Josef Strauß, der das Magazin achtzehnmal verklagte und achtzehnmal vor Gericht verlor; Robert Gernhardt und F.W. Bernstein dichteten, Kurt Halbritter, Hans Traxler, F.K. Waechter, Walter Hanel, Stano Kochan und Chlodwig Poth zeichneten darin, Otto Köhler lieferte eine ausgezeichnete Lieraturkritik; die ständige Nonsensdoppelseite "WimS – Welt im Spiegel" ist bis heute unerreicht - und alles garniert mit hübschen Nacktbildern, für die man sich nicht extra die schmuddelige Praline kaufen mußte. Im Laufe der 1970er ließ die pardon dann ziemlich nach. Sie wurde leicht esoterisch ("yogisches Fliegen"), dicker, bunter, zahmer und langweiliger. Das deutsche MAD setzte in der gleichen Zeit zu einem Höhenflug an. William Gaines holte Herbert Feuerstein vom pardon-Verlag Bärmeier & Nikel und machte ihn zum Chefredakteur. Der fügte zum amerikanischem Material - Filmparodien von Mort Drucker und Jack Davis, Minikritzeleien von Sergio Aragonés, Exekutions- und Kerkerszenen von Don Martin, "Spion & Spion" von Antonio Prohias' - originäres deutsches Material hinzu: "Leitspruch des Monats", "Erinnern Sie sich noch", "Alfred des Monats" an Prominente, die sich in irgendeiner Form disqualifiziert hatten, z.B. Erik Ode, Hans Filbinger oder Nastassia Kinski. So gelang es Feuerstein im Laufe weniger Jahre, die Auflage zu vervielfachen. Den absoluten Höhepunkt erreichte das Magazin Anfang der 80er Jahre mit 330 000 Exemplaren, soviel wie auch die pardon zu ihren Glanzzeiten. 1979 verließen Robert Gernhardt, F. K. Waechter, Peter Knorr, Hans Traxler und Chlodwig Poth die pardon und gründeten eine neue Satirezeitschrift: die Titanic.
"Die Grundhaltung der Zeitschrift ist immer gleich geblieben: Ein klares ja zum Nein! Gegen Schmidt, gegen Kohl, gegen Schröder. Gegen Unterdrückung, Diktatur, Minderheiten, Mehrheiten und Immobilienmakler. Ist die Welt deshalb besser geworden, konnte auch nur eine Katastrophe verhindert werden? […] Natürlich nicht." Peter Knorr und Hans Zippert 1999
Diese Haltung gefiel mir 1979, diese Haltung gefiel mir 1999 und diese Haltung wird mir auch 2019 noch gefallen. Deshalb habe ich die Titanic auch von der ersten Ausgabe an auch gelesen und bis heute abonniert. Leider gibt es viele meiner Lieblingsrubriken nicht mehr, Die sieben peinlichsten Persönlichkeiten, Erledigte Fälle, Sondermann und die Kolumne von Walter Boehlich, Max Goldt schreibt nur noch sehr, sehr unregelmäßig, gut, die Briefe an die Leser und die sehr, sehr gute Humorkritik gibt es immer noch und Vom Fachmann für Kenner kann auch schon seit einigen Jahren einiges ersetzen, das weggefallen ist, aber ein gewisser Qualitätsverlust ist nicht zu leugnen. Die Zeiten wandeln sich und die Satire muß sich mit ihnen wandeln, um nicht zur abgestandenen schalen Brühe von vorgestern zu werden. Die pardon wurde 1982 eingestellt, die deutsche Ausgabe des MAD 1995, mehrere Wiederbelebungsversuche ließen samt und sonders die alte Klasse vermissen und hatten nur mäßigen Erfolg. Die Titanic gibt es nach 37 Jahren immer noch und ich kann immer noch über vieles darin schmunzeln und sogar ab und an lachen. Wie lange noch? Überlebt die Titanic mich oder überlebe ich die Titanic, so wie ich die Rasselbande, die Star Club News, die Sounds und die pardon überlebt habe? Oder wird in den Geheimen Satirelaboren schon mit Neuem experimentiert? In diesem Sinne wünsche ich einen erleuchteten zweiten Adventssonntag. P.S.: Ich wollte eigentlich noch was zu Titanic und zur Satiregroßtat Die PARTEI schreiben, aber das Hirn ist mir jetzt wirklich eingetrocknet und ich vermag nichts Vernünftiges mehr herauszuquetschen.