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Links und rechts und rundherum

Frank @wallnuss aus Müllrose fragt:
Sollte man nicht wieder runde Parlamente einführen, um das missverständliche Rechtslinksdenken zu vermeiden?
WikipeteR antwortet: „Runde Parlamente“, bei denen Gleiche unter Gleichen zusammensitzen und die anstehenden Probleme des Zusammenlebens beraten, „runde Parlamente“ in diesem Sinn gab es eigentlich nur um die Lagerfeuer der Jäger und Sammler und gibt es neuerdings wieder mit den nach gesellschaftlichen Umbrüchen in Mode gekommenen „runden Tischen“ sowie den Stuhlkreisen in Kindergärten und therapeutischen Einrichtungen. Zwischenzeitlich ist man aus praktischen Gründen doch sehr von dieser Idealform abgewichen. Die Agora von Athen und die antiken Gebäudefundamente darauf machen insgesamt aber einen sehr rechteckigen Eindruck, die Orchestra, bis ca. 500 v. Chr. der eigentliche Ort der Ekklesia, der Versammlung der Stimmbürger, war aber halbrund mit einer Bema, einer Rednertribüne, im Zentrum. Ab 330 v. Chr. wurden die Versammlungen dann im Dionysostheater abgehalten. Das war als Zweidrittelkreis angelegt und faßte maximal 17.000 Zuschauer. Eine Ekklesia galt aber schon als gut besucht, wenn 6.000 der 30.000 stimmberechtigten Bürger kamen. Am Lagerfeuer und am „Runden Tisch“ sind alle gleich weit vom Mittelpunkt entfernt, niemand ist besonders hervorgehoben oder zurückgesetzt, die Kommunikation ist symmetrisch. Das ändert sich in dem Augenblick, in dem eine Rednertribüne im Mittelpunkt steht und derjenige, der sprechen will, aus dem Kreis der anderen heraustreten und sich in den Fokus stellen muß. Aus dem Gedankenaustausch wird Agitation, aus dem Sprecher wird ein Redner, aus dem Menschen wird ein Schauspieler, ein Politiker gar, die Überzeugungskraft wird wichtiger als das Argument, die Rhetorik, die Polemik und der Populismus erleben ihre Geburtsstunde. Es war kein Zufall, daß im antiken Griechenland das Theater und die Vollversammlungen der Stimmbürger am gleichen Ort stattfanden. Beim Thing der Germanen und Skandinavier waren die Plätze zwar auch kreisförmig angeordnet, im Mittelpunkt aber stets ein erhöhter Sitz, auf dem der Versammlungsleiter, ein Priester, Stammeshäuptling oder Herzog (Kriegshäuptling) Platz nahm – der Führer und sein Volk an der Heiligen Thingstätte gegen den Rest der Welt vereint, das hat dort seinen Ursprung und geht bis heute bei unseren nazional gesinnten Mitbürgern als Demokratie durch. Ob im Halbrund eines Parlaments oder im Rund eines Fußballstadions sitzt niemand gern von Feinden umgeben und gesellt sich lieber zur eigenen Blase. In der französischen Nationalversammlung von 1789 klumpten sich deshalb die Anhänger der Republik links und diejenigen, die den König am liebsten doch noch behalten wollten, rechts zusammen und sorgten so für die Grobeinteilung, nach der wir bis heute gern die politischen Lager unterscheiden. Notwendig ist es nicht, diese vertraute Nomenklatur beizubehalten. Wir könnten die Parteien ähnlich wie Fußballvereine oder Rennställe auch nach Farben unterscheiden, Rote, Schwarze, Blaue, Grüne, Gelbe, Graue (neu!) oder Braune; und wir machen das ja auch. Wir könnten ihnen aber auch Tiernamen geben: Hühner, Hasen, Tiger, Kojoten, Adler, Murmeltiere oder Sackratten, je nach Geschmack und Windrichtung. Auch die Benennung nach Pflanzen, chemischen Elementen, Sternzeichen oder Sexualpraktiken wäre möglich. Wenn die politische Stoßrichtung klar ist, die sich hinter der Benennung verbirgt, ist die Benennung eigentlich gleichgültig. Die Sitzordnung nach Parteien könnte man natürlich auch aufheben und stattdessen in einem runden, rautenförmigen oder quadratischen Sitzungssaal nach Haar- oder Augenfarbe, nach Alter oder nach Alphabet sortieren oder die Plätze einfach auslosen, das änderte aber weder etwas an der politischen Einstellung der Gewählten noch an ihrem Abstimmungsverhalten. Vor allem änderte das nichts am Bestreben der Menschen, die Welt nach Gut und Böse einzuteilen und die Parteien dem einen (links oder rechts) oder dem anderen (rechts oder links) Lager zuzuschlagen. Selbstverständlich gehört man selbst (links oder rechts, je nachdem) immer zu den Guten und die anderen zu den Bösen. Darauf kommt es an. Das ist gut für die Seelenhygiene und für die Selbstzufriedenheit. Deshalb hat der Hardcore-Nazi Jens Wilke zum Abschluß einer seiner Mahnwachen auch gerufen: „Wir sind die Guten!“ Hoffentlich gehören die Leserinnen jeglichen Geschlechts, die diese Kolumne lesen, allesamt zu den Guten. Denn dann und nur dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Rest=Sonntag.