Heimatkunde
Urstromtal
Grundmoräne
Endmoräne
Marsch
Geestkante
Wörter als schlechte Verstecke,
zwölf Jahre,
die sich in Erdzeitaltern auflösen
Heimat
Kiesgruben
Rübenäcker
Kartoffelfeuer
Völkerball
Miefige Tünche auf dem Nazischrott in den Hirnen ringsumher:
Bauern
Lehrer
Bürgermeister
alte Kameraden
Schützenbrüder
PÄD-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DES ROHRSTOCKS
Der Bambus zersplittert auf dem Rücken. Heiner weint und schleicht nach Hause. Der erste Schultag ist zu Ende, wir wissen jetzt Bescheid und das Leben kann beginnen.
MUH-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DER KUH
Nicht nur im Stall, auch bei den Mädchen im Konfirmandenunterricht tut sich schon etwas: züchtige Blicke, Polster in den Blusen, eine Mark für ein Bild aus dem Wäschefach meines Vaters
Eine Mark, das sind zehn Wundertüten, fünfmal Nick, der Weltraumfahrer, dreimal Tibor, zweimal Sigurd
Icke steigt auf den Stuhl, um dem Pastor auf die Glatze zu spucken, der steigt auf den Tisch.
Unentschieden.
Icke heißt so, weil er aus Berlin kommt, am Sonnabend dreht er den Schwanz der angestochenen Sau, damit das Blut schneller fließt.Blut in der Schüssel. Der Trichinenbeschauer lacht. Die Männer trinken Doppelkorn.
Olympia hinter dem Haus: alle sind Martin Lauer, ein rostiger Nagel in der Hürde, Gerhard reißt sich das linke Ei auf, Krankenwagen: Blut auf dem Feldweg.
Das Kind soll nicht von ihm sein, Richards Vater sticht zu, sechsundzwanzigmal mit dem Taschenmesser: Blut auf dem Spargel. Das Dorf steht in der Bild-Zeitung.
Der alte Runge und Susanne Kray gehen zum letzten Mal in ihrem Leben über die Straße: Blut auf dem Asphalt.
Schmidts Brie, der Säufer, auch, zwei Promille: Der Kopf ist Matsch.
Ein Heldentod!
Heldengedenken am Sonntag:
Alle acht Klassen strammgestanden vor dem Kriegerdenkmal, die Feuerwehrkapelle spielt die Nummer neun, langsam, im Tempo der Tränen.
Hände
Beine
Hoden
Heimat
Krieg
Alles verloren!
Das Fernweh bleibt:„Komm, steig in mein Boot“, „Vor dem Frauenhaus in Algier“, „Seemann, laß das Träumen“
Das Heimweh auch: „Dort wo die Blumen blüh‘n, dort wo die Täler grün, dort war ich einmal zu Haus“
Steinhauers Gasthaus: Mein Vater gibt mir eine Cola aus und 20 Pfennig für die Musikbox, ich drücke "Das letzte Hemd hat keine Taschen", mein Vater singt mit, der Kunstmaler und Alt=Nazi am Nebentisch weint dazu und gibt mir eine Mark.
Eine Mark, das sind zehn Wundertüten, viermal Nick, dreimal Silberpfeil, zweimal Sigurd, nur einmal Tibor.
Schützenfest: Am Sonntagnachmittag spielt die Feuerwehrkapelle, die Nummer neun, was sonst, aber schnell, für das Tanzbein
Stacheldraht
Adenauer
Kennedy
Kubakrise
Faschismus
Faschismus, so tauft mein Vater die Kuh, die meinem Bruder den Dünnpfiff in scharfem Strahl aufs Auge scheißt.
Die Jungs so früh mit Politik verderben, ereifern sich Onkel und Tanten: Wo soll das enden? Bei Hottentottenmusik und Veitstänzen, da sind sich alle einig.
Rockin‘ Bones an der Badestelle, Bernd Goschke, der Lehrersohn, ein Halbstarker, der nicht ins Dorf paßt, und seine Band, Gitarre, Besenstiel und Benzinkanister, die Kühe glotzen, meine Füße zucken.
Im Jahresrückblick zwischen Weihnachten und Neujahr im Radio wird der Rock‘n‘Roll für tot erklärt, schade.
Erntefest zwei Jahre später: die Feuerwehrkapelle spielt die Nummer neun als Twist, mein Bruder und die Cousinen tanzen, Hula-hoop ohne Reifen, an der Schießbude, zwanzig Pfennig der Schuß, Plastikblumen und bunte Bilder von vier jungen Männern mit Pilzköpfen, John, Paul, George und Ringo, die Namen kann ich schon, die Texte nicht, meine Haare viel zu kurz: Pißpottschnitt von Onkel Gerd, dem Briefträger mit der verkrüppelten Hand.
CAMP-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DER MUNDORGEL
Die Rohrstöcke werden eingemottet, gepflegtes Haar darf auch lang sein.
Die frechen Schwestern aus der Baracke schleppen ihren Plattenspieler in unser Zelt: „Skinny Minnie“, „You Really Got Me“ und „Hippy Hippy Shake“.
CVJM: Guri, der brave Sohn des anderen Lehrers ist unser Führer.
Chai im Kessel über dem Lagerfeuer, Heinz pinkelt gegen den Elekrozaun und ist ein Held. Unser Führer zeigt uns, wie man vorschriftsmäßig wichst, kommt aber nicht zum Ende, Skilly muß ihn lutschen, darf aber Klopapier drumherum legen ...
Süße Jugend, wo bist du geblieben?