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Jagdhütte

Als ich mich vor einigen Jahren beim Pilzesammeln im Wald ein wenig verirrte, stieß ich am Ende eines schon halb zugewachsenen Wirtschaftsweges auf die Jagdhütte des Bauunternehmers K., die, entschied ich, doch höchst geeignete sei, hier mitten in der "unberührtesten Natur" (H. Wader, Tankerkönig) Orgien und Feste mit verbotenen Lustbarkeiten zu feiern. Das Vorhängeschloß schien leicht zu knacken, vor Entdeckung durch Unberufene wäre man weitgehend sicher, allerdings müßte man mindestens einen Kilometer zu Fuß zurücklegen und auch alle Getränke diese Strecke schleppen. Man wäre schon erschöpft, bevor die Party überhaupt begonnen hätte. Deshalb ließ ich diesen Gedanken auch bald fallen und ersetzte ihn durch den Plan, den Ort in ein Kunstwerk zu verwandeln, alle Kiefern auf dem umzäunten Areal zu entrinden, sie weiß anzustreichen und die Hütte dafür innen mit einer Fototapete "Deutscher Wald" auszukleiden, ein Plan, so schön er mir als Gedanke auch erschien, den ich aus Mangel an Farbe und Mut dann doch nicht ausführte.

Etüde für 3 Stimmen & 1 Chor

Aus dem Sohn des Bauern wird ein Bauer. Aus der Tochter des Müllers wird eine Müllersfrau. Aus dem Sohn des Priesters wird ein Schweinehirt. AUS JEDEM WIRD ETWAS. Aus der Gänsemagd wird eine Prinzessin. Aus dem Schweinehirten wird ein König. Aus dem Kind der beiden wird ein Priester. AUS JEDEM WIRD ETWAS. Aus dem häßlichen Entlein wird ein Schwan. Aus dem Frosch wird ein Prinz. (aber nur, wenn er die häßliche Prinzessin küßt) AUS JEDEM WIRD ETWAS. Aus dem Tellerwäscher wird ein Millonär. Aus der Serviererin wird ein Popstar. Aus dem Einbrecher wird ein Führer. AUS JEDEM WIRD ETWAS. Aus dem Mörder wird ein Freiheitsheld. Aus dem Gangster wird ein Staatsmann. (aber nur, wenn die Maske fällt) UND WAS WIRD AUS UNS? Aus Goethe wird Botho Strauß. Aus Karl Marx wird Karl May. Aus den Sonics werden die Toten Hosen. AUS JEDEM WIRD ETWAS. Alles zu werden strömt zu Hauf! Befreit euch gefälligst selbst! Werft eure Unterhosen weg und folgt mir auf Twitter! AMEN

Pißbüdels Gang

Pißbüdels Gang, so wird von den Alteingesessenen die schmale, holprig gepflasterte Gasse genannt, die gegenüber vom "Kanzler" von der Langen Straße abgeht, Pißbüdels Gang deshalb, weil in alten Zeiten die Honoratioren der Stadt in ihrer "unschätzbaren würdevollen Fadheit und leeren Ernsthaftigkeit" nach ihren Zechereien in diesem Lokal dort im Schutz der Dunkelheit das Wasser abschlugen. Am Ende erweitert sich der Gang zu einem kleinen Platz, bis heute katzenkopfgepflastert. Dort setzte ich mich fast jeden Nachmittag vor die ausgetretenen Steinstufen, die hinunter in die "Kajüte" führten, legte einen Hut, einen dunkelbraunen Borsalino, vor mich hin und bettelte die Leute an, nicht um Geld, nein, das brauchte ich nicht, die Arbeitslosenhilfe und hin und wieder ein kleiner Betrug hielten mich über Wasser, ich sammelte Kronkorken. Denn Kronkorken, wenn man sie mit Sidol und einem weichen Tuch schön blank poliert, spiegeln die Seelen der Trinker. Hatte ich so zwei bis drei Dutzend beisammen, schüttete ich sie in die Taschen meiner Bundeswehrparka, setzte den Borsalino auf und ging die vier Stufen hinunter, Wesersandstein, in die dritte hatte jemand vor Jahrzehnten – oder vorhin? – rechts unten ein Hakenkreuz geritzt. Von der Eingangstür blätterte der grüne Billiglack, sie quietschte und schloß nicht richtig, so daß es fortwährend durch den Schankraum zog. Die Bedienung, durch die Bank klein und pummelig – vor allem in Bäckereien und Fleischereien kann man beobachten, daß das weibliche Personal vorzugsweise nach dem Beuteschema des Chefs zusammengestellt wird –, stets schwarz gekleidet, brachte kleine gelbe Zettel, einen Bleistift und Dartpfeile. Die Bestellung schrieb man auf einen der Zettel, befestigte den an einem Pfeil und warf ihn nach der Bedienung. Nur, wenn man eine der beiden Zielscheiben in Grell-Orange traf, vielleicht sechs Zentimeter im Durchmesser und recht dick gepolstert, die über den kurzen Röcken an der rechten und der linken Pobacke angebracht waren, dann bekam man, was man bestellt hatte, andernfalls mußte man fünf Mark Schmerzensgeld bezahlen und auf der Stelle (und durstig & hungrig) verschwinden. Treffer auf die gepolsterten Scheiben quittierten die Kellnerinnen mit affektierten Jauchzern, Fehlwürfe mit spitzen Schmerzensschreien und Flüchen. Ich traf nur selten, und wenn, dann aus Versehen, und war deshalb draußen vor dem Eingang zwar geduldet, drinnen aber nicht gern gesehen. Jedesmal ließ man mich mit Freude von Ringo, damals noch kraftstrotzend und energisch zupackend, abkassieren und hinauswerfen. Ich trank auch lieber zu Hause, am Abend Wodka Jarzebiak und Mineralwasser, das gab einen angenehm warmen Rausch ohne Kater am nächsten Morgen, am Küchentisch, weil der groß genug war, auch noch die Ausbeute an Kronkorken vor mir auszubreiten, nachdem ich sie in der Plastikschüssel mit einem milden Handspülmittel gereinigt hatte – Desinfektionsbäder hatte ich auch ausprobiert, aber die zerstörten den Seelenspiegel – und aufs Sorgfältigste zu polieren. Und je mehr die Kronkorken glänzten und spiegelten, desto schärfer traten die Konturen der Säuferseelen hervor, nicht meine eigene Seele, wie böse Zungen behaupteten, wirklich die derjenigen, die aus den Flaschen getrunken hatten, das dürfen Sie mir ruhig glauben: melancholisch heiter lächelnd die einen, zerrissen und verzweifelt weinend die anderen, in allen nur denkbaren Nuancen und Zwischentönen. Bei manchen Säufern, denen es schon den Verstand weggefressen hatte und in ein tiefschwarzes Loch verwandelt, begann sich allmählich auch schon die Seele zu verflüchtigen und war nur noch als konturloser dünner Nebel wahrnehmbar. Meine Schätze bewahre ich immer noch im Seelenzimmer auf, in Regalen mit Schubladen aus russischer Birke, schön nach Kategorien geordnet und fein säuberlich etikettiert, die Schubladen, nicht die Kronkorken. Neue kommen kaum noch dazu. Das Haus mit der "Kajüte" wurde abgerissen, statt der Sandsteinstufen führt an dieser Stelle nun eine Betontreppe hinunter in die Tiefgarage, anderswo ist auch nur noch wenig Beute möglich, weil sich vor allem bei der Jugend die Bierdose immer mehr gegenüber der Pfandflasche durchsetzt. Pißbüdels Gang