Skip to content

Herrgott zwo null (2)

Am Vormittag des 3. Juni 1998, dem 19. Todestag Arno Schmidts, gleichzeitig Tag des ICE-Unglücks von Eschede, kehrt Gott in Gestalt Arno Schmidts in den Heidegasthof ‹Zum Blauen Enzian› ein und zwingt den Anwesenden – der Wirt (im Jägermeister-T-Shirt), ein arbeitsloser Soziologe (im Netzunterhemd), vier angetrunkene Sargträger (in Schwarz) – ein Gespräch auf. In der Unterhaltung geht es um Hermann Löns, Arno Schmidt und Herrn Natürlich, um das Gemächt des Toten, um Beischlaf und Mißbrauch vor der Theke, auf der Kegelbahn und auf dem Billardtisch, um Valerie Solanas, Abe Sada, die Zeitschrift ‹Schwanz ab› und um Gott, der allwissend und „selbstverständlich Atheist“ sein will. Vor 35.000 Jahren werden die bahnbrechenden Werke ‹Poetologie des Nichts› und ‹Poetologie des Universums› an die Wände einer Höhle in den Pyrenäen gemalt, undeutbare Fragmente davon tauchen später im Bahnhof von Uelzen wieder auf. Ada Lovelace extrahiert aus einem Manuskript, in dem sich Gottfried Wilhelm Leibniz mit den Tri- und Hexagrammen des chinesischen Urkaisers beschäftigt, die Weltformel, die später von Arno Schmidt in einer Butterbrotdose aus der Staatsbibliothek geschmuggelt wird. Eine Freifrau von Undeloh schreibt eine ‹Geschichte der Menschheit von den Anfängen bis ins Jahr 2525›, die Zager & Evans zu ihrem Welthit inspiriert. Arno Schmidt und Charles Bukowski, die sich heimlich in einem Bordell in Uelzen getroffen haben, um zu saufen und über Nachkriegsprosa zu streiten, jagen nachts auf der Suche nach Spuren dieser Chronik im Taxi durch die Lüneburger Heide. Gott zeigt der Welt seinen erigierten Mittelfinger und verschwindet für die nächsten zweitausend Jahre. Leseprobe Nr. 2
Gott zeigte auf das Glas an der rechtwinkligen Spitze: „Ganz anders als bei Hegel oder Marx: Uelzen als Ziel der Weltgeschichte. Das wird sich Ihnen noch heute offenbaren, meine Herren, noch heute.“ Goldkettchen Bruns tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn: „Jetzt dreht er völlig durch. Bekloppt, ich sag es ja, total bekloppt.“ „Ausgerechnet Uelzen“, ließ sich Kriemelmeyer vernehmen, „was ist denn schon Uelzen? Zuckerrübentransporte und Butterschmalz, mehr nicht. Wo hat denn Rainer Zobel gespielt, als er bei Bayern aufgehört hat? Wieder bei seiner Germania? Nein, beim Lüneburger SK. Das sagt doch alles über diese Stadt.“ „In Ihren Augen vielleicht“, entgegnete Gott, „große Geister sehen das anders. Uelzen bildet die Spitze des magischen Dreiecks, die spüren das im Gegensatz zu Ihnen. So ist das. Weshalb, glauben Sie, haben sich Arno Schmidt und Charles Bukowski vor zwanzig Jahren wohl in Uelzen zu ihrem Geheimgespräch getroffen und nicht in New York, Paris oder Hannover? Warum wohl?“ „Ich glaube Ihnen kein Wort.“ Kriemelmeyer klang jetzt ein wenig verärgert: „Bukowski und Schmidt sollen sich getroffen haben? Und das auch noch in Uelzen? Sie wollen uns doch einen Bären aufbinden. Nein, nein, kein Wort.“ „Bukowski, wer ist das denn überhaupt?“, fragte Bernd Thieme: „Ist das der richtige Name von Charles Bronson? Soll ja ‘n Pole sein.“ „Das ist auch ein Dichter, Bernd“, antwortete ihm Kriemelmeyer, „ein amerikanischer aber, Fick- und Saufgeschichten, deine Kragenweite. Nee, nee, die beiden haben sich bestimmt nicht getroffen, und wenn, dann hätte das bestimmt in der Zeitung gestanden, im Stern oder im Spiegel oder hier in der Zeit.“. Kriemelmeyer klopfte mit der flachen Hand auf das Blatt. „Es war ein Geheimtreffen, Herr Meyer, die haben das nicht an die große Glocke gehängt, schon gar nicht bei dem Ausgang. Arno Schmidt hat dieses Treffen bis an sein Lebensende eisern verschwiegen, Bukowski hat in seinem Buch Ochsentour, in dem es um seine Europareise und seine Lesung am 18. Mai 1978 in Hamburg geht, zumindest etwas angedeutet. Unmittelbar nach der Lesung, schreibt er dort, sei er über eine ‚feuchte Hintertreppe‘ aus der Markthalle geführt worden, da habe dann ein ‚langer, schwarzer Wagen‘ gestanden, der ihn ‚ohne Worte und schnell zu einer besonderen Party für die Auserwählten‘ gefahren habe, wie er sich ausgedrückt hat. Ja, meine Herren, die Party war in einem Bordell in Uelzen und die Auserwählten, das waren Arno Schmidt, Charles Bukowski und sein Übersetzer Carl Weissner. Bukowskis Freundin mußte in Hamburg bleiben.“ „Ein Bordell in Uelzen? Das kann nur die Oase gewesen sein“, wollte Goldkettchen Bruns wissen. „Wenn die Geschichte überhaupt stimmt“, gab Kriemelmeyer zu bedenken. „Wie können Sie das bezweifeln, Herr Meyer?“ Gott wurde langsam ungehalten. „Aber es war nicht die Oase, es war die Stern-Bar. In die Oase hat sich Arno Schmidt nicht getraut.“ „Den Laden kenne ich!“ Bernd Thieme schnipste mit den Fingern wie ein Schüler, der unbedingt drankommen will: „Null Atmosphäre, als wärst du nicht im Puff, sondern in so’m alten Wartesaal dritter Klasse, bessere Bierzeltgarnitur zum Sitzen und die Animierdamen ziehen einen Flunsch, wenn du sie ansprichst.“ „Stimmt“, sagte Kriemelmeyer, „ich war auch mal da, einmal zum Striptease mit Dickie Dickens, das war mir aber zu ordinär, deshalb bin ich nach einem Auftritt auch gleich wieder weg. Wie die beiden das da ausgehalten haben sollen, das müssen Sie mir mal verraten. Das ist vielleicht Bukowskis Niveau, aber Schmidt? Nie im Leben!“ „Sie waren doch nicht zum Vögeln da, wo denken Sie hin?“, entgegnete Gott: „Sie wollten sich bloß ungestört über Literatur unterhalten, über andere herziehen und über das reden, was sie so machen, ohne gleich von irgendwelchen Feuilletonjournalisten aufgestöbert und mit dummen Fragen gelöchert zu werden, in aller Ruhe, verstehen Sie? Reich-Ranicki, Raddatz oder Karasek würden auf keinen Fall in der Stern-Bar auftauchen, da war sich Carl Weissner sicher.“ Bevor er weiterredete trank Gott erst einmal den Rest Mineralwasser aus dem Glas. Lasch und abgestanden. Pfui Deibel! „Sie trafen sich unten an der Bar. Weissner schleppte ein Kiste Müller-Thurgau mit hinein, Rauenberger Mannaberg, eine Lage aus ehemaligem weissnerschen Familienbesitz. Bukowski war auf den Geschmack gekommen und trank in Hamburg nichts anderes mehr. 150 Mark Korkgeld mußte Weissner dafür hinblättern. Arno Schmidt trank Branntwein ‚vom Billigsten, bitte‘, Marke Alte Kanzlei, und Cola mit drei Teelöffeln löslichem Kaffee pro Glas, damit er wach blieb. Weissner steckte Monique noch zweihundert Mark in den Ausschnitt, ‚für den Verdienstausfall‘, damit sie den beiden auch fernblieb, dann gingen Arno Schmidt und Charles Bukowski hoch auf ihr Zimmer, Weissner blieb an der Bar und langweilte sich.“ „Woher weißt du das alles so genau? Warst du etwa dabei? Als Freier? Und hast das alles zufällig mitgekriegt?“ Gott konnte sich kaum noch beherrschen: „Nein, das war ich nicht. Wie oft soll ich Ihnen das denn noch erklären, bis Sie es endlich begreifen? Deppen! Ich weiß das, weil ich alles weiß. Ah! El! El! E! Es! ALLES! Wenn Sie das interessiert: Ich weiß auch, wie oft jeder von Ihnen heute schon gefurzt hat und wie oft er morgen furzen wird.“
‹Herrgott zwo null. Ein haidnisches Symposion› ist die überarbeitete und zu einem Kurzroman erweiterte Fassung der Erzählung ‹Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg› und erscheint am 18. Januar 2019 unter der ISBN 978-3-7481-6014-4.

Herrgott zwo null (1)

Am Vormittag des 3. Juni 1998, dem 19. Todestag Arno Schmidts, gleichzeitig Tag des ICE-Unglücks von Eschede, kehrt Gott in Gestalt Arno Schmidts in den Heidegasthof ‹Zum Blauen Enzian› ein und zwingt den Anwesenden – der Wirt (im Jägermeister-T-Shirt), ein arbeitsloser Soziologe (im Netzunterhemd), vier angetrunkene Sargträger (in Schwarz) – ein Gespräch auf. In der Unterhaltung geht es um Hermann Löns, Arno Schmidt und Herrn Natürlich, um das Gemächt des Toten, um Beischlaf und Mißbrauch vor der Theke, auf der Kegelbahn und auf dem Billardtisch, um Valerie Solanas, Abe Sada, die Zeitschrift ‹Schwanz ab› und um Gott, der allwissend und „selbstverständlich Atheist“ sein will. Vor 35.000 Jahren werden die bahnbrechenden Werke ‹Poetologie des Nichts› und ‹Poetologie des Universums› an die Wände einer Höhle in den Pyrenäen gemalt, undeutbare Fragmente davon tauchen später im Bahnhof von Uelzen wieder auf. Ada Lovelace extrahiert aus einem Manuskript, in dem sich Gottfried Wilhelm Leibniz mit den Tri- und Hexagrammen des chinesischen Urkaisers beschäftigt, die Weltformel, die später von Arno Schmidt in einer Butterbrotdose aus der Staatsbibliothek geschmuggelt wird. Eine Freifrau von Undeloh schreibt eine ‹Geschichte der Menschheit von den Anfängen bis ins Jahr 2525›, die Zager & Evans zu ihrem Welthit inspiriert. Arno Schmidt und Charles Bukowski, die sich heimlich in einem Bordell in Uelzen getroffen haben, um zu saufen und über Nachkriegsprosa zu streiten, jagen nachts auf der Suche nach Spuren dieser Chronik im Taxi durch die Lüneburger Heide. Gott zeigt der Welt seinen erigierten Mittelfinger und verschwindet für die nächsten zweitausend Jahre. Leseprobe Nr. 1
Weil die ungläubige Verwirrung durch seine Erklärungsversuche noch zugenommen hatte, setzte Gott nach: „Wahrnehmen kann ich das nur, weil eben alles ‚gleichzeitig‘ ‚da‘ ist. IST, meine Herren, Wirklichkeitsform, nicht Möglichkeitsform, gleichzeitig, meine Herren, alles gleichzeitig! Seit Anbeginn bin ich gleichzeitig im Universum und das Universum ist in mir, richtiger, ich bin eine Metapher für das Universum und das Universum ist eine Metapher für mich. Verstanden?“ „Ist das so ein Kōan?“ Kriemelmeyer zeigte wieder sein Strebergesicht. Alle anderen schauten verwirrt an Gott vorbei. „Metaxa haben wir auch nicht“, antwortete der Enzianwirt nach einer Weile. „Danach habe ich auch nicht gefragt. Aber“, setzte Gott nach, „Metaxa ist auch gut. Manchmal schlägt Metaxa jede Metapher und erfüllt die Synapsen mit warmer Zuversicht. Übrigens haben Sie trotzdem welchen, 70 Jahre alten, im Barfach in Ihrem Wohnzimmerschrank. Privat und allein trinken Sie so etwas Gutes schon, nur Ihren Gästen gönnen Sie es nicht.“ „Ja, äh, stimmt, total vergessen, woher ...?“ „Ich weiß es eben, wie ich auch alles andere weiß. Daran sollten Sie sich langsam gewöhnt haben. Nun holen Sie ihn schon. Wir benehmen uns hier auch, bis Sie wieder zurück sind. Wir trinken dann diesen edlen Tropfen zu Ehren Arno Schmidts: neunzehnter Todestag heute.“ 42 % stand auf der Flasche, die Horst, der Enzianwirt, schließlich anschleppte. „Zweiundvierzig“, Gott schnalzte mit der Zunge, „so viele Umdrehungen, wie das Universum Dimensionen hat. Das ist ein gutes Vorzeichen.“
‹Herrgott zwo null› (Arbeitstitel) wird als überarbeitete und zu einem Kurzroman erweiterte Fassung der Erzählung ‹Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg› am Nikolaustag fertig geschrieben sein und irgendwann im neuen Jahr in kleiner limitierter Auflage herauskommen. Wer sich jetzt schon ein Exemplar sichern möchte: Mail an herrgott(AT)irrationale(DOT)net

Grauschach

Das ewige Schwarz-Weiß-Denken im Schach aufzuheben, spielten der Philosoph und sein Diener nur mit grau angestrichenen Figuren auf einem ebensolchen Spielfeld ohne eingezeichnete Quadrate gegeneinander. Nirgendwo sonst auf der Welt genössen die Bauern eine solche Freiheit, sich nach Belieben dem einen oder anderen Heere anzuschließen.

Etym

Etym! Etym!! Etym!!! Es kommt gar ungestüm aus dunkler Ecke quergeflogen. Etym! Etym!! Etym!!! Ob Gerhard Zwerenz oder Rühm: Worte sind manchmal ungezogen.

Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg

Am Vormittag des 3. Juni 1998, dem 19. Todestag Arno Schmidts, gleichzeitag Tag des ICE-Unglücks von Eschede, kehrt Gott in Gestalt Arno Schmidts in den Heidegasthof "Zum Blauen Enzian" ein und zwingt den Anwesenden - der Wirt (im Jägermeister-T-Shirt), ein arbeitsloser Soziologe (im Netzunterhemd), vier angetrunkene Sargträger (in Schwarz) - ein Gespräch auf. In der Unterhaltung geht es um Hermann Löns, Arno Schmidt und Herrn Natürlich, um das Gemächt des Toten, um Beischlaf und Mißbrauch vor der Theke, auf der Kegelbahn und auf dem Billardtisch, um Valerie Solanas, Abe Sada und die Zeitschrift "Schwanz ab", um Douglas Adams, Fu Xi, G. W. Leibniz, Ada & Linda Lovelace und ein in Bargfeld verstecktes Manuskript mit der Weltformel, um den Tod Arno Schmidts und um die von ihm gegründete geheime Bruderschaft der Maggitrinker, die sich bis heute einmal jährlich in Eschede trifft, um Arno Schmidt und Julius Maggi zu ehren. Gott behauptet, er sei allwissend, "selbstverständlich Atheist", trage für nichts auf der Welt Verantwortung, kenne zudem sämtliche schriftlichen Zeugnisse der Menschheit aus Vergangenheit und Zukunft, und beginnt eine endlose Aufzählung all dessen, was er gelesen hat und noch lesen wird, in deren Verlauf seine Zuhörer einschlafen. Am Ende stößt die Bruderschaft mit Maggi auf ihre beiden Idole an, Gott verwandelt sich aus Zorn über die eingeschlafenen Zuhörer in einen Klaus Kinski, der tobend das Weite sucht, und in Eschede entgleist der ICE.
Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg
Der Herrgott beim Enzianwirt am Wilseder Berg
Leseprobe: - - - „Jetzt weiß ich es“, Enzianhorst war außer sich vor Begeisterung über die plötzliche Entdeckung in seinem Erinnerungsschatz, „jetzt weiß ich es, weshalb er so gut Bescheid weiß über das alles. Er war mal hier. Ich erinnere mich. Bevor wir hier umgebaut haben. Auch noch vor dem Brand. Der war mal hier. Sogar mehrmals. Mit dem Tandem. Er vorne, die Frau hinten. Die sind hier eingekehrt. Und er hat so ein Notizbuch dabei gehabt und immerzu alles mögliche aufgeschrieben. Das ist er. Der Heidedichter!“ Sofort fing der Stammtisch zu singen an: „Hermann Löns, die Heide brennt! Hermann Löns, die Heide brennt! Hermann Löns, die Heide brennt! Hermann Löns, die Heide brennt!“ Es wollte nicht enden. „Eine Runde Korn für alle, auch für Schorse, keine Widerrede, Schorse, für den Heidedichter, der uns so schön verarscht hat, und für dich auch, Horst. Schreib es auf meinen Deckel.“ „Ach Bernd, das sind jetzt schon 134 Mark, wenn ich nur einmal eine Woche diesen Umsatz hätte.“ „Keine Müdigkeit vorgeschützt! Die 752. Strophe: Hermann Löns, die Heide brennt! Und die Nummer 1274: Hermann Löns, die Heide brennt! Und Prost!“ „Jetzt ist aber Schluß“, donnerte Schorse Kriemelmeyer, „damit macht man keine Witze! Oder habt ihr es nicht erlebt? Die Feuerwalze? Die Toten? Die schwarzen Baumleichen hinterher? Ich erinnere mich noch gut. Im Sommer 72 war‘s. Das war schlimm genug. Da muß man jetzt nicht auch noch das blöde Lied singen.“ „Und außerdem“, fuhr er fort, als alle wieder schwiegen, „war das mit Hermann Löns vor dem ersten Krieg. Der ist schon über achtzig Jahre tot. Mit dem Tandem ist er auch nicht gefahren, dafür war er sich zu fein, mit dem Zug aus Hannover und dann hat er sich herumkutschieren lassen oder ist in seinem weißen Anzug über die Heide geritten, der Dandy.“ „Weißer Anzug? Wirklich? ‘n Jäger war das doch, ‘n Waidmann.“ Bernd Thieme mochte das Gehörte nicht glauben: „Aber du bist ja der Fachmann für Bücher und so.“ „Doch, doch. In der Jägerkluft hat er sich erst später gezeigt, als er den großen Naturschützer gespielt hat. Grün? Auch, aber Loden, nicht Leder. Ein Säufer und Hurenbock war er, der ist nur hier her gekommen, um sich auszunüchtern und zu erholen von seinen anstrengenden Weibergeschichten. Ein Mann wie ich braucht jede sieben Wochen eine andere Geliebte. Das waren seine eigenen Worte. Muß man sich mal vorstellen. Euer heißgeliebter Hermann Löns. Heimatdichter, Junge, Junge. Heimat? Vielleicht. Eher wie so ein Tourist, der die ‚Ursprünglichkeit‘ liebt, weil er nicht immer hier leben muß, oder wie so einer von den Großstadtaussteigern, die sich an den Rand ins Wendland verkrochen haben und sich heute mitten in Deutschland wiederfinden. Aber Dichter? Gute Güte. Banalkram, der sich gut singen läßt ... Blut-und-Boden-Provinzwichse ... Heidekitsch hoch drei ... sag nicht nur ich, das sagen Leute, die was davon verstehen, aber so welche kennt ihr ja nicht, dafür müßtet ihr ja mal raus aus dem Dorf; Hitler und die Nazis, ja, die haben ihn angebetet, heldischer Geist der Kriegsfreiwilligen von 1914, haha, zum Totlachen, wenn‘s keine Propaganda fürs Totschießen im nächsten Krieg gewesen wäre. Zum Kotzen. Und ihr dackelt ihm heute noch treu hinterher, eurem Hermann Löns. Da muß einer nur schlecht genug sein, treudeutsch daherreden und mehr saufen als ihr, da liebt ihr ihn und baut ihm Denkmäler.“ Gott mochte Kriemelmeyers Ausführungen nicht widersprechen und die anderen schwiegen, weil sie es nicht konnten. Sie fühlten sich nur völlig zu Unrecht um ihr Heimatidol gebracht. - - - Natürlich biete ich die Erzählung auch einigen Verlagen an. Aber das kann dauern und vielleicht interessiert sich niemand so dafür, daß er das Verlegerrisiko eingehen mag. Deshalb gibt es wie bei den "Schrägen Gestalten" wieder eine reine Privat=Edition (DIN A5, 48 Seiten, klammergeheftet, 9,00 Euro plus Porto) in einer Auflage von pfeilgrad 2 x 42 = 84 Exemplaren. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Mail an wikipeter (AT) irrationale.net genügt als Bestellung. Leider komplett ausverkauft! Eine zweite Auflage der Erzählung wird es auf keinen Fall mehr geben, wahrscheinlich aber die Erweiterung zu einem Kurzroman mit leicht veränderten Schluß. In der Romanfassung kämen dann auch alle schmutzigen Geheimnisse ans Tageslicht, die den Toten, die Sargträger, den Wirt und Schorse Kriemelmeyer aneinanderketten; weiter kämen der ‹Würger vom Lichtenmoor›, der Bahnhof von Uelzen, Charles Bukowski und ein geheimes Dichtertreffen in einem Bordell ins Spile; nicht zuletzt erführen die Leserinnen und Leser entschieden mehr über die 42 Dimensionen des Universums, Weltformel, Binärsystem und Dualseelen sowie endlich Aufklärung darüber, welche Rolle der Typ mit Brille und grüner Lederjacke, der nicht Gott genannt werden will, und das Informationserhaltungsgesetz in diesem Klumpatsch wirklich spielen. Bis jetzt existiert der Roman in meiner Zettelwirtschaft und in etwas ausführlicheren Notizen in meinem schwarzen Moleskine. Der Tortur der Niederschrift unterwerfe ich mich aber nur, wenn entweder eine Veröffentlichung gesichert ist oder mich jemand in den drei Monaten, die ich dafür angesetzt habe, so unterstützt, daß ich mich außer ums schreibenum (fast) nichts mehr kümmern muß. Kontakt bitte nur über Mail: herrgott(AT)irrationale(DOT)net.

Heimatkunde

Urstromtal Grundmoräne Endmoräne Marsch Geestkante Wörter als schlechte Verstecke, zwölf Jahre, die sich in Erdzeitaltern auflösen Heimat Kiesgruben Rübenäcker Kartoffelfeuer Völkerball Miefige Tünche auf dem Nazischrott in den Hirnen ringsumher: Bauern Lehrer Bürgermeister alte Kameraden Schützenbrüder PÄD-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DES ROHRSTOCKS Der Bambus zersplittert auf dem Rücken. Heiner weint und schleicht nach Hause. Der erste Schultag ist zu Ende, wir wissen jetzt Bescheid und das Leben kann beginnen. MUH-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DER KUH Nicht nur im Stall, auch bei den Mädchen im Konfirmandenunterricht tut sich schon etwas: züchtige Blicke, Polster in den Blusen, eine Mark für ein Bild aus dem Wäschefach meines Vaters Eine Mark, das sind zehn Wundertüten, fünfmal Nick, der Weltraumfahrer, dreimal Tibor, zweimal Sigurd Icke steigt auf den Stuhl, um dem Pastor auf die Glatze zu spucken, der steigt auf den Tisch. Unentschieden. Icke heißt so, weil er aus Berlin kommt, am Sonnabend dreht er den Schwanz der angestochenen Sau, damit das Blut schneller fließt.Blut in der Schüssel. Der Trichinenbeschauer lacht. Die Männer trinken Doppelkorn. Olympia hinter dem Haus: alle sind Martin Lauer, ein rostiger Nagel in der Hürde, Gerhard reißt sich das linke Ei auf, Krankenwagen: Blut auf dem Feldweg. Das Kind soll nicht von ihm sein, Richards Vater sticht zu, sechsundzwanzigmal mit dem Taschenmesser: Blut auf dem Spargel. Das Dorf steht in der Bild-Zeitung. Der alte Runge und Susanne Kray gehen zum letzten Mal in ihrem Leben über die Straße: Blut auf dem Asphalt. Schmidts Brie, der Säufer, auch, zwei Promille: Der Kopf ist Matsch. Ein Heldentod! Heldengedenken am Sonntag: Alle acht Klassen strammgestanden vor dem Kriegerdenkmal, die Feuerwehrkapelle spielt die Nummer neun, langsam, im Tempo der Tränen. Hände Beine Hoden Heimat Krieg Alles ver­loren! Das Fernweh bleibt:„Komm, steig in mein Boot“, „Vor dem Frauenhaus in Algier“, „Seemann, laß das Träumen“ Das Heimweh auch: „Dort wo die Blumen blüh‘n, dort wo die Täler grün, dort war ich einmal zu Haus“ Steinhauers Gasthaus: Mein Vater gibt mir eine Cola aus und 20 Pfennig für die Musikbox, ich drücke "Das letzte Hemd hat keine Taschen", mein Vater singt mit, der Kunstmaler und Alt=Nazi am Nebentisch weint dazu und gibt mir eine Mark. Eine Mark, das sind zehn Wundertüten, viermal Nick, dreimal Silberpfeil, zweimal Sigurd, nur einmal Tibor. Schützenfest: Am Sonntagnachmittag spielt die Feuerwehrkapelle, die Nummer neun, was sonst, aber schnell, für das Tanzbein Stacheldraht Adenauer Kennedy Kubakrise Faschismus Faschismus, so tauft mein Vater die Kuh, die meinem Bruder den Dünnpfiff in scharfem Strahl aufs Auge scheißt. Die Jungs so früh mit Politik verderben, ereifern sich Onkel und Tanten: Wo soll das enden? Bei Hottentottenmusik und Veitstänzen, da sind sich alle einig. Rockin‘ Bones an der Badestelle, Bernd Goschke, der Lehrersohn, ein Halbstarker, der nicht ins Dorf paßt, und seine Band, Gitarre, Besenstiel und Benzinkanister, die Kühe glotzen, meine Füße zucken. Im Jahresrückblick zwischen Weihnachten und Neujahr im Radio wird der Rock‘n‘Roll für tot erklärt, schade. Erntefest zwei Jahre später: die Feuerwehrkapelle spielt die Nummer neun als Twist, mein Bruder und die Cousinen tanzen, Hula-hoop ohne Reifen, an der Schießbude, zwanzig Pfennig der Schuß, Plastikblumen und bunte Bilder von vier jungen Männern mit Pilzköpfen, John, Paul, George und Ringo, die Namen kann ich schon, die Texte nicht, meine Haare viel zu kurz: Pißpottschnitt von Onkel Gerd, dem Briefträger mit der verkrüppelten Hand. CAMP-O-ZÄN, DAS ZEITALTER DER MUNDORGEL Die Rohrstöcke werden eingemottet, gepflegtes Haar darf auch lang sein. Die frechen Schwestern aus der Baracke schleppen ihren Plattenspieler in unser Zelt: „Skinny Minnie“, „You Really Got Me“ und „Hippy Hippy Shake“. CVJM: Guri, der brave Sohn des anderen Lehrers ist unser Führer. Chai im Kessel über dem Lagerfeuer, Heinz pinkelt gegen den Elekrozaun und ist ein Held. Unser Führer zeigt uns, wie man vorschriftsmäßig wichst, kommt aber nicht zum Ende, Skilly muß ihn lutschen, darf aber Klopapier drumherum legen ... Süße Jugend, wo bist du geblieben?